Streit um EU-HaushaltZwei kämpfen gegen den Rest der EU
Brüssel will den Boykott des EU-Haushalts durch Polen und Ungarn beenden – notfalls mit dem Streichen von Hilfsgeldern. Morgen Donnerstag ist der Showdown.

Es sind Tage der Entscheidung – und es geht um sehr viel Geld. Die anderen EU-Regierungen warten gespannt darauf, ob Polen und Ungarn im Haushaltsstreit Signale der Kompromissbereitschaft senden. Falls das nicht bis zum EU-Gipfel am Donnerstag geschieht, werden die anderen Regierungen und die EU-Kommission den vorgesehenen Corona-Hilfstopf übergangsweise ohne Polen und Ungarn aufsetzen. «Wir werden vielleicht zu Plan B wechseln müssen», sagte ein hochrangiger EU-Diplomat dazu.
Die Blockade des regulären EU-Haushalts würde dieser Schritt freilich nicht auflösen. Polens und Ungarns Regierungen verweigern bislang ihre Zustimmung zum mehrjährigen Finanzrahmen, dem groben EU-Haushaltsplan für die sieben Jahre von 2021 bis 2027 sowie zum Corona-Hilfsfonds. Damit wollen sie erreichen, dass der beschlossene Rechtsstaatsmechanismus doch nicht in Kraft tritt. Diese Klausel würde es erstmals erlauben, unter gewissen Umständen Fördermittel zu kappen, wenn im Empfängerland der Rechtsstaat bedroht ist.
Eine mögliche Lösung, die immer wieder genannt wird, wäre eine Zusatzerklärung, die Polens und Ungarns Bedenken gegen den Mechanismus ausräumt. Die Regierungen behaupten, die Klausel könne missbraucht werden, um Zugeständnisse bei anderen Themen zu erpressen, etwa der Flüchtlingspolitik.
«Gendersachen und Migration»
Am Dienstagabend redete Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán in Warschau mit Polens Premier Mateusz Morawiecki und mit Jarosław Kaczyński, dem mächtigsten Politiker Polens und Chef der Regierungspartei PiS. Beide Seiten gaben sich hinterher kompromisslos. «Polen und Ungarn halten gemeinsam ihre Position aufrecht, dass die Fragen der Rechtsstaatlichkeit von denjenigen getrennt sein müssen, die mit dem Haushalt verbunden sind», sagte Polens Regierungssprecher Piotr Mueller. Orbán bekräftigte im Fernsehsender Polsat: «Rechtsstaatsangelegenheiten haben nichts mit Finanzen und dem Haushalt zu tun. Wir möchten nicht, dass diese mit Gendersachen oder Migration verknüpft werden. Wir beachten die Grundlagen der EU.»
Auf die Frage, wie wichtig EU-Mittel seien, antwortete er: «Geld ist immer wichtig. Aber es hat nicht höchste Priorität. Es wäre gut, wenn wir es hätten, aber wir können ihm nicht alles unterordnen. Worum wir kämpfen, ist unsere nationale Souveränität.» Gleichwohl sei «das Erreichen einer Verständigung» am besten.
Eine Einigung? Schwierig
Wie diese aussehen soll, blieb unklar. Die Rechtsstaatsklausel Polen und Ungarn zuliebe zu ändern, wäre sehr schwierig. Der Mechanismus ist schliesslich Ergebnis mühsamer Verhandlungen zwischen Mitgliedstaaten und Parlament. Der Fonds soll 390 Milliarden Euro an Zuschüssen verteilen und 360 Milliarden Euro an Darlehen. Hauptprofiteure sind Italien und Spanien, wobei auch Polen 23 und Ungarn 6 Milliarden Zuschüsse erhalten sollen. Um den Topf zu füllen, soll die EU-Kommission Schulden aufnehmen und diese später aus ihrem Haushalt begleichen. Der dafür nötige Beschluss muss einstimmig fallen – und hier verweigern sich die beiden Regierungen.
Die Behörde arbeitet daher an Konzepten, wie sie sich ohne diesen Beschluss verschulden kann. Nach Informationen dieser Zeitung sieht das favorisierte Modell vor, dass die 25 willigen Mitgliedstaaten der Kommission Garantien zur Verfügung stellen. Mit dieser Rückendeckung könnte die Kommission Anleihen herausgeben und den Corona-Fonds füllen.
Kein Budget mehr ab Januar?
Besteht die Blockade auch nach dem EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag, werde mit der Umsetzung begonnen, kündigen EU-Diplomaten und Kommissionsbeamte an. Ungarn und Polen blieben dann aussen vor. Die Kommission geht bei ihren Überlegungen davon aus, dass die beiden Regierungen ihr Veto irgendwann im kommenden Jahr zurückziehen und der Corona-Topf danach wie ursprünglich geplant umgesetzt werden kann. Das Alternativmodell müsse also nur ein Jahr überbrücken, heisst es.
Keine Brücke existiert hingegen für den normalen EU-Haushalt. Geben Polen und Ungarn nicht bald den mehrjährigen Finanzrahmen frei, hat die Kommission von Januar an keinen gültigen Etat. Stattdessen würde ein Notbudget genutzt, das gut 15 Prozent kleiner wäre als der reguläre Haushalt. Besonders betroffen wären die Fördergelder für benachteiligte Regionen – von denen Polen enorm profitiert.
Beim Gipfel steht der Haushaltsstreit nicht auf der Tagesordnung. Trotzdem müssen sich Orbán und Morawiecki am Rande des Treffens wohl einige böse Worte der anderen Staats- und Regierungschefs anhören – wenn sie nicht vorher einlenken.
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