
Ich dachte, ich würde am Sonntagnachmittag im Hallenstadion zwischen den ZSC Lions und dem EV Zug einen Vorgeschmack auf den nächsten Schweizer Playoff-Final erhalten. Die zwei besten Teams, zumindest bis jetzt in dieser Saison, würden um die Vorherrschaft in der Liga ringen und um einen leichten psychologischen Vorteil im Hinblick aufs Playoff. Und was bekamen wir? Servette als neuen Leader.
Das Eishockey befindet sich im Fluss wie nie zuvor. Man kann die alten Weisheiten aus dem Fenster werfen. Aber wo steuert der Sport hin? Er wurde ziemlich durchgeschüttelt von den Enthüllungen über den verbalen und tätlichen Missbrauch von Coaches. Vor allem in Nordamerika. Und die «National Post» aus Toronto veröffentlichte jüngst einen Artikel darüber, dass das Eishockey langsam am Aussterben sei: zu teuer, zu gewalttätig, zu wenig attraktiv für die «neuen» Kanadier, die Basketball bevorzugen, zu wenig offen dafür, ein neues Publikum zu erschliessen.
Und wer hätte gedacht, dass einmal ein Schweizer nicht nur der Topskorer seines NHL-Teams sei, sondern auch als sein physischer Leader bezeichnet werden würde wie Roman Josi in Nashville. Und das zu Recht. Ich hatte grossen Spass dabei, am 1. Januar die Winter Classic zwischen Nashville und Dallas zu schauen. Das Freiluftspiel vor 85000 Zuschauern war wie eine Zeitreise in die Vergangenheit, so körperbetont wurde gespielt. Aber eine solche Härte könnte kein Team über 82 Spiele ertragen. Die Spieler müssten vorher hospitalisiert werden.
Ich fragte: Was ist anders heute? «Die Coaches sind besser!», sagten meine Ex-Spieler.
Zurück ins Hallenstadion, wo ich am Sonntag dem «Oldies Day» beiwohnte, dem alljährlichen Treffen ehemaliger Spieler und Funktionäre. Einige Clubs pflegen ihre Geschichte besser als andere. Der langjährige Club-21-Präsident Ernst Meier rief diese schöne Tradition ins Leben. Da waren wir also, Ex-ZSC-Spieler aus sechs Jahrzehnten versammelt, und schwärmten von vergangenen Zeiten. Ein nostalgischer «Oldie» sagte zu mir: «Kürzlich schaute ich unser Teamfoto von damals an. Nur noch drei von uns sind übrig geblieben.»
Ich traf zwei Generationen von Spielern, die ich in Zürich gecoacht hatte. Roger Geiger, Tommy Hurcik, Andy Trümpler und Migi Leemann aus den 80er-Jahren. Claudio Micheli, Martin Kout, Edgar Salis und Mathias Seger von Anfang 2000. Die erste Generation half, das Fundament zu legen für die Profis späterer Tage, welche die Lions dann in die moderne Eishockeywelt führten.
Ich fragte die früheren Amateure, wie sich das Eishockey mit den Jahren verändert habe. Natürlich bekam ich prompt die Antwort: «Die Coaches sind besser heute!» Ach, ich hätte es ahnen müssen. Ich lachte mit, und dann sagten sie auch noch: «Es ist eine andere Sportart heute.» Paradoxerweise sagten die Profis, der Sport sei zu professionell geworden. Es bleibe kaum mehr Raum für Spass, und der Teamgeist sei nicht mehr so gut wie früher. Und so athletisch das Eishockey heute sei, es sei nicht unbedingt besser geworden.
30 Jahre nach dem Mauerfall sind die diversen Eishockeykulturen immer noch klar ersichtlich.
Im Hallenstadion sah ich am Sonntag die moderne Version des Spiels, das wir alle so lieben. Die beiden beflissenen, gelehrten skandinavischen Coaches spielten Schach auf Eis und versuchten, die Schwächen des anderen aufzudecken und jedes Detail zu ihrem Vorteil zu nutzen. Die Zürcher machten einen nervösen Eindruck, und ihre Passqualität war miserabel. Die Zuger waren lange aktiver, verschafften sich mit ihrem Forechecking das Momentum. Bis sie damit aufhörten.
Im ersten Drittel war der EVZ klar besser. Das zweite spielte sich mehrheitlich in der neutralen Zone ab (was die meisten Coaches bevorzugen) und war technisch gut, aber ohne Esprit. Im dritten fanden die Zürcher endlich ihr berüchtigtes Powerspiel, das sie in ihren erfolgreichen Jahren ausgezeichnet hatte. Sie hätten den Sieg verdient. Doch sie begannen eben ein bisschen zu spät. Für ein Spiel, in dem es um die Leaderposition ging, war dieser Spitzenkampf für mich ziemlich enttäuschend.
Es wird ja oft gesagt, man könne jemanden aus seiner Kultur herausreissen, aber die Kultur nicht aus ihm. 30 Jahre nach dem Mauerfall sind die diversen Eishockeykulturen immer noch klar ersichtlich. Die Skandinavier spielen kühles, kalkuliertes Eishockey. Die Russen stehen für beseeltes Offensivspiel, aber sie geraten in Probleme, wenn die Teamdefensive gefragt ist (wie nun wieder im Final der Junioren-WM gegen Kanada zu sehen war). Und die Kanadier finden immer noch meist irgendwie einen Weg zum Sieg (dito). Je kräftiger, schneller und athletischer die Spieler werden, desto taktisch anspruchsvoller wird der Job für die Coaches.
Als ich meine früheren Spieler fragte, wieso es die Schweizer Clubteams immer noch nicht schafften, die besten Europas zu schlagen, wie wir in der Champions League wieder sahen, war die Antwort einhellig: «Es liegt an der fehlenden Konkurrenz. Es ist zu einfach, nach oben zu kommen.» Das stimmt wohl. Und was sich, bei allem Wandel, auch nicht verändert hat: Inspiration und Freude sind der Schlüssel. Da müssen die ZSC Lions und der EV Zug noch zulegen, wenn sie im Frühling um den Titel spielen wollen.
(Übersetzung: sg.)
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Wo, bitte schön, ist die Inspiration?
Das Eishockey ist im Fluss wie noch nie. So viel sich aber verändert, eines ist gleich geblieben: der Schlüssel, um zu gewinnen.