Interview zur Teuerung«Wir rechnen mit einer Inflationsrate von knapp 4 Prozent gegen Jahresende»
Die grösse Kantonalbank der Schweiz erwartet trotz Zinserhöhung eine deutliche Beschleunigung der Teuerung. Ihr Chefökonom David Marmet erklärt die Gründe dafür.

Die Zürcher Kantonalbank rechnet mit einen Anstieg der Inflation auf 4 Prozent. Das ist deutlich mehr, als die Schweizerische Nationalbank erwartet, die mit 2,8 Prozent rechnet. Sieht die ZKB etwas, was die SNB übersehen hat?
Nein, nein, die SNB hat nichts übersehen. Aber wir schätzen die Bremswirkung der jüngsten Leitzinserhöhung um 0,50 Basispunkte anders ein als die Notenbank. Die 50 Basispunkte reichen nicht aus, um die Inflation innerhalb kurzer Frist zu bremsen. Deshalb rechnen wir mit einer Inflationsrate von knapp 4 Prozent gegen Jahresende.
Wir haben Inflation. Wird das so bleiben?
Wenn die Inflation mal im System ist, bringt man sie nur noch schwer weg. Beim Konsumentenpreisindex sind noch vor ein paar Monaten nur wenige Preise stark gestiegen. Einige sind sogar gesunken. Und jetzt sehen wir, dass immer mehr Preise ansteigen und immer weniger rückläufig sind.
Und wie sieht es im nächsten Jahr aus?
Nicht viel besser. Eine wichtige Rolle spielen die administrierten Preise. Im Landesindex der Konsumentenpreise sind rund ein Viertel aller Preise administriert. Ein typisches Beispiel ist der Strompreis. Für die privaten Haushalte legt die Elcom die Preise einmal pro Jahr im September fest. Diese Preise gelten dann für das ganze Jahr. Die Haushalte haben bis jetzt noch keine Preissteigerungen gesehen. Die werden sie erst 2023 zu spüren bekommen. Die meisten administrierten Preise werden halbjährlich oder jährlich festgelegt. Und wenn sie mal angepasst werden, dann in grösserem Ausmass.
«Wir sind immer noch in voller Fahrt. Dabei wissen wir, dass man auf die Bremse stehen müsste.»
Welche weiteren vom Staat administrierten Preise werden uns aufs Portemonnaie drücken?
Dazu gehören die Kehrichtgebühren oder die Posttaxen. Die Preise für Briefmarken sind ja jetzt bereits nach oben angepasst worden. Ein weiterer grosser Posten sind die ärztlichen Leistungen. Derzeit läuft die politische Diskussion, ob und wie man die anpassen soll.
Gibt es überhaupt noch etwas, was billiger werden könnte?
Ja, das gibt es glücklicherweise immer noch. Wir sehen das bei der Gesundheitspflege und erstaunlicherweise auch bei den Nahrungsmitteln. Kleines Beispiel: Bei uns ist der Reis in den letzten Monaten deutlich günstiger geworden. Bis jetzt haben wir in den beiden Kategorien keine flächendeckenden Erhöhungen gesehen. In der Eurozone hingegen gibt es überall Preisanstiege. Aber man muss sich bewusst sein: Jeden Monat verzeichnen wir weniger Produkte mit rückläufigen Preisen.

Was passiert bei den Energiepreisen?
Sie haben ein Niveau erreicht, bei dem allenfalls eine Stabilisierung erwartet werden kann oder sogar eine rückläufige Tendenz. Aber das passiert insgesamt auf einem hohen Niveau.
Also wird in der Schweiz die Inflation so hoch wie in anderen europäischen Staaten?
Nein, aus heutiger Sicht können wir das ausschliessen. Wir werden nicht die Niveaus von acht und mehr Prozent erreichen.
Warum nicht?
Weil die Schweiz einen anderen Energiemix hat. Bei uns machen die fossilen Energieträger, also Erdgas, Erdöl und Kohle rund 50 Prozent aus. In anderen Ländern, wie etwas Deutschland, sind es 75 bis 80 Prozent. Und diese Energieträger sind jetzt sehr teuer geworden. Das ist ein wichtiger Grund, weshalb sich die Inflationsrate in der Schweiz unterdurchschnittlich entwickelt hat. Und es war nicht der Schweizer Franken, der dämpfend gewirkt hat, wie das oftmals behauptet wird. Der Franken ist in den letzten 6 Monaten kaum aufgewertet worden. Unser Energiemix wird dafür sorgen, dass wir nicht so hohe Inflationsraten sehen werden. Ein gutes Beispiel ist Frankreich: Der hohe Anteil an Atomstrom sorgt für eine viel tiefere Inflationsrate als in den Nachbarländern.

Sie rechnen dennoch fest mit einer weiteren Korrektur durch die Nationalbank?
Die SNB hat ja angetönt, dass weitere Zinsschritte folgen könnten. Wir rechnen fest damit. Wir haben in der Schweiz immer noch Negativzinsen. Wir sind immer noch in voller Fahrt. Dabei wissen wir, dass man auf die Bremse stehen müsste.
Die SNB argumentiert, dass sie eine Frankenaufwertung begrüssen würde, nachdem sie die Aufwertung jahrelang bekämpft hat.
Ja, jetzt sieht die Sache anders aus. Man kann mit einer Frankenaufwertung die importierte Inflation bremsen. Es gibt eine Faustregel: Eine 10-prozentige Frankenaufwertung reduziert die Inflation um ein Prozent. Das würde bedeuten: Der Franken müsste richtig stark werden, um die Inflation spürbar zu dämpfen. Wir denken, dass das nicht im Sinn der SNB und nicht im Sinn der Schweizer Wirtschaft ist. Wir würden uns ein gröberes Wachstumsproblem einhandeln. Deshalb gehen wir davon aus, dass die SNB weitere Zinsschritte machen wird. Man sieht ja, was in den USA oder in der Eurozone derzeit passiert. Die Notenbanken haben oder werden heftig reagieren, nun droht diesen Ländern eine Rezession. Die Gefahr wächst jeden Tag. Die SNB hat hingegen sehr früh reagiert.
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