Lesende fragen Peter SchneiderWieso werden kinderfreie Partys heiss diskutiert?
Die einen wollen zum Hochzeitsfest den eigenen Nachwuchs mitbringen, die anderen sind strikt gegen Kinderpräsenz. Unser Kolumnist deutet unsere Aufregungsökonomie.

Ich habe eine Einladung zu einer Hochzeitsfeier bekommen. Kinder sind für das Fest nach der Trauung nicht eingeladen. Darüber wird gechattet. Ich habe gegoogelt. Können Sie erklären, warum das mit der «kinderfreien Party» so ein Ding ist? Die Kontroverse ist unglaublich! Ich verstehe das nicht: Okay, kleine Kinder können nerven. Aber die Kleinen feiern mit, bis sie einpennen, und liefern dann den perfekten Vorwand für die Eltern, das Fest zu verlassen. Wird die Ehe vollzogen, schaut in der Regel ohnehin niemand zu. Aber alle drehen maximal durch. Warum? A. P.
Liebe Frau P.
Darf ich aus leicht erhöhter Metaperspektive antworten? Danke. Ich glaube, Sie sind da einem geheimen Prinzip der Aufmerksamkeitsökonomie auf der Spur (vgl. «Die Protokolle der Greise von Sion», Selbstverlag, Sitten 1999): Je irrelevanter oder je bekloppter ein Scheiss, desto erektiler beziehungsweise erregter die darum entfachten Debatten.
Sie hätten auch nach Kontroversen über «Laptoptastaturengeklapper im Ruhewagen», «Stillen in der Öffentlichkeit», «Flipflops im Büro» (leider ein in letzter Zeit etwas floppendes Thema; dabei habe ich es sooo geliebt), «Darf der Hund ins Bett?», «Junge Mütter», «Alte Mütter», «Mittelalte Mütter», «Burkini oder Oben ohne?», «Sind Bowls die Vorreiter der Gentrifizierung?», «Ist Corona eine Modekrankheit?», «Macht die Bildschirmzeit unsere Kinder autistisch?», «Ist Stillen noch okay, wenn die Kinder schon sprechen können?», «Erziehung: Grenzensetzen ohne Stacheldraht» und so weiter googeln können.
Sie merken, ich kriege mich gar nicht mehr ein und bin insofern ein gutes Beispiel dieser Art von Debattenkultur. (Immerhin von einem Meta-Standpunkt: Nennen Sie mich eine Diskurs-Drohne.) Nun also Kinder auf dem Hochzeitsfest, dem schönsten aller Tage nach dem Morgestraich. Während dreier Jahre geplant, bis die Location stimmt (sach ich jezz mal so nach dem Prinzip: Aus jeder Episode einen Trend machen), den Hochzeitsfummel ausgewählt («Immer mehr wählen den Smoking aus dem Secondhandshop – ist das in Ordnung?»), die Einladungspolitikkrise gemeistert («Verwandtschaft und Freunde – separat oder zusammen?») …
Ich sehne mich so sehr nach mehr intellektuellem Debatten-Tiefgang.
Da wird die Kinderfrage («Und, Kinder, ist das bei euch ein Thema?») zur Überforderung. Früher, als man durchweg noch mit zwanzig geheiratet hat und das erste Kind frühestens acht Monate später zur Welt kam («Aber nicht alles war früher besser»), war das alles kein Thema («Manches war früher eben doch besser!»), aber heute mit diesen Patchworkfamilien und LGTBIQ+ …
Ich sehne mich so sehr nach mehr intellektuellem Debatten-Tiefgang. Zum Beispiel: «Vom Veganismus zum Vaginismus, oder: Das Gleiten der Signifikanten».
Der Psychoanalytiker Peter Schneider beantwortet Fragen zur Philosophie des Alltagslebens. Senden Sie uns Ihre Fragen an gesellschaft@tamedia.ch.
Fehler gefunden?Jetzt melden.