Nach dem Erdbeben in HaitiWenn das Unheil immer wieder zuschlägt
Politische Morde, Erbeben, Stürme – das bitterarme Haiti steht wie kein anderes Land für Krisen und Katastrophen. Schuld daran tragen auch Amerikaner und Europäer.

Eine Woche ist vergangen, seit am vergangenen Samstagmorgen die Erde in Haiti zu beben begann, das Beben hatte die Stärke 7,2. Während langsam das Ausmass der Katastrophe deutlich wird, läuft gleichzeitig die internationale Hilfe an – mal wieder, muss man sagen, steht die bitterarme Nation doch wie kaum eine andere in der öffentlichen Wahrnehmung für Krisen und Katastrophen. Die Hilfe läuft schleppend und ist in einigen schwer betroffenen Orten immer noch nicht angekommen. Manche Ortschaften sind fast vollständig zerstört. Es werden inzwischen weit über 2000 Todesopfer gezählt. Laut dem UNO-Kinderhilfswerk Unicef sind 1,2 Millionen Menschen von der Katastrophe betroffen.
«Natürlich ist Haiti schwer gebeutelt», sagt auch Katja Maurer. Sie leitet die Öffentlichkeitsarbeit von Medico International, nach dem schweren Erdbeben von 2010 war sie das erste Mal in Haiti und bis heute, sagt sie, sei sie zutiefst schockiert darüber, was sie damals sah: Die Not der Menschen, aber auch die Arroganz des Westens. «Viele glauben, dass all die Katastrophen und Krisen in Haiti so etwas wie Schicksal sind und das Land angeblich nicht ‹entwickelbar› ist. Dabei wird aber ausgeblendet, dass Europa und die USA massgeblich mit beteiligt sind an der Situation des Landes.»
Heute fehlt der ursprüngliche Wald
Um all das zu verstehen, muss man in der Geschichte ein paar Jahrhunderte zurückgehen. Haiti liegt auf der Insel Hispaniola, im Dezember 1492 ging Christoph Kolumbus hier nach seiner Atlantiküberfahrt an Land. Ihm folgten erst spanische Glücksritter, dann französische Seeräuber und Siedler. Bald entstand eine französische Kolonie, Saint-Domingue, die Perle der Antillen.
Urwälder wurden abgeholzt und Zucker, Kaffee und Baumwolle gepflanzt, das brachte gute Gewinne, führte aber auch zu Bodenerosion. Grossen Teilen Haitis fehle heute der ursprüngliche Wald, sagt Maurer: «Das führt dazu, dass die Insel Stürmen und Starkregen kaum etwas entgegensetzen kann.»

Auf den Plantagen schufteten aus Afrika verschleppte Sklaven. Immer wieder kam es zu Aufständen. 1804 erklärte Haiti seine Unabhängigkeit, nach langem Zögern entliess Frankreich die ehemalige Kolonie, aber nur gegen Zahlung einer immensen Wiedergutmachung. «Faktisch war damit schon das Unheil von Haiti besiegelt», sagt Maurer.
Über Jahrzehnte floss der Reichtum des Landes ab, bis nach dem Zweiten Weltkrieg musste Haiti seine Schulden abbezahlen. Es gab keine Mittel für den Aufbau von Infrastruktur oder Wirtschaft, eine kleine Elite im Land steckte sich das Wenige, das übrig blieb, in die eigene Tasche. Diktatoren reichten die Macht einander weiter, teils geduldet, oft aber auch mit der direkten Unterstützung der USA und der internationalen Gemeinschaft.
Immer wieder gibt es Erdbeben, das schwerste 2010, mit 200’000 Toten.
Zu dieser ohnehin schon schwierigen Situation kamen immer wieder Naturkatastrophen. Haiti liegt in einem Gebiet, in dem sich nicht nur Stürme bilden, sondern auch Erdplatten aufeinandertreffen. Immer wieder gibt es Erdbeben, das schwerste bislang 2010, mit 200’000 Toten. «Es gab damals das grosse Versprechen, Haiti wieder aufzubauen, und zwar besser als zuvor», erinnert sich Katja Maurer. 40’000 Nichtregierungsorganisationen seien damals ins Land gekommen. «Einzelne haben bestimmt gute Arbeit gemacht, aber im Ganzen hat die Hilfe mehr geschadet als genützt.»
Maurer war damals selbst auch im Land, jede Organisation habe gemacht, was sie wollte, erinnert sie sich. «Es gab keine Koordination, keine Planung, keine Mitsprache der Haitianer.» Millionen an Spenden- und Entwicklungshilfegeldern flossen über die nächsten Jahre ins Land, vor allem aber in die Taschen der Mitarbeiter der Organisationen, sagt Maurer. Die Korruption wuchs, der Ärger der Menschen auch, die Armut aber nahm kaum ab. «Die Schuld wurde dann immer bei den Haitianern gesucht», sagt Maurer. «Dabei müsste man doch erst mal fragen: Was haben wir falsch gemacht?»
Internationale Entwicklungshilfe neu denken
Nun, nach dem erneuten schweren Erdbeben, sei es höchste Zeit für ein Umdenken, sagt Maurer. «Wenn Afghanistan das Symbol für das Scheitern der internationalen Sicherheitspolitik ist, dann ist Haiti das Paradebeispiel dafür, dass internationale Entwicklungshilfe neu gedacht werden muss.» Was es bräuchte, sagt sie, seien langfristige Strukturen, Koordination und vor allem Beteiligung der Menschen vor Ort. Nur so könne das Land die Hilfe bekommen, die es dringend brauche, jetzt und auch in Zukunft: Nur wenige Länder weltweit werden vermutlich so sehr von den Folgen des Klimawandels betroffen sein wie Haiti.
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