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Von der Unternehmensberaterin zur Entwicklungshelferin

Um das Eis zu brechen, nimmt Nicola Stanisch ein traditionelles liberianisches Gewand mit, das ihr eine Freundin geschenkt hat.
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Während andere Schweizer Namibia bereisen, um Nationalparks zu besuchen, wird Nicola Stanisch dort für die Schweizer Organisation Interteam als Entwicklungshelferin arbeiten. Ende Januar fliegt die Herrlibergerin in das südwestafrikanische Land – das erste Mal in ihrem Leben. Mit gut gemeinten Volunteer-Einsätzen für junge Abenteuerlustige, die oft nur wenige Wochen dauern, hat der Einsatz der 56-Jährigen wenig gemein. Drei Jahre wird Nicola Stanisch in der Zambezi Region im äussersten Nordosten Namibias leben und arbeiten.

«Auf Augenhöhe begegnen»

«Ich weiss noch nicht einmal, wo ich wohnen werde», sagt Stanisch mit einem Schmunzeln. Gross zu kümmern scheint sie diese Ungewissheit nicht. In Schwellen- oder Entwicklungsländern zu arbeiten, ist für sie kein Neuland. Bereits seit elf Jahren lebt sie mehr oder weniger im Ausland: zuerst in Russland, dann in Indien. Das halbe Jahr, welches sie derzeit in Herrliberg in ihrem Elternhaus verbringt, ist für Nicola Stanisch lediglich ein Zwischenstopp.

In Moskau beriet sie Unternehmen in Marketingfragen. Dass sich die Mentalität dort diametral von der europäischen unterscheidet, stellte sie schnell fest. Als ein Kunde während einer Seminareinführung zu brüllen anfing sowie wutenbrannt und türenknallend den Raum verliess, stand Nicola Stanisch im ersten Moment unter Schock. Doch ihre russische Mitarbeiterin beruhigte sie: «Es läuft gut, viel schlimmer wäre es, wenn er völlig unbeteiligt geblieben wäre.» Die Kollegin sollte recht behalten, kehrte der Firmenboss doch bestens gelaunt zurück.

«Ich weiss noch nicht einmal, wo ich wohnen werde.»

Nicola Stanisch

Auch in Afrika erwartet Stanisch eine andere Mentalität, eine ganz eigene Atmosphäre. «Zuerst muss ich mir ein Bild machen», sagt sie. Es sei ihr wichtig, die Leute erst kennenzulernen. ihnen auf Augenhöhe zu begegnen. «Ich werde auf keinen Fall gleich am Anfang mit meinen Rezepten für die Probleme kommen», sagt Stanisch. Auf die spezifischen Aufgaben wurde sie von Interteam in einem Kurs vorbereitet. Themen seien dort unter anderem die Sicherheit in Namibia gewesen, aber auch mögliche Schwierigkeiten wie Korruption.

Bildung als Kernaufgabe

Um das Eis zu brechen, nimmt Nicola Stanisch ein traditionelles liberianisches Gewand mit, das ihr eine Freundin geschenkt hat. Ein gutes Einvernehmen mit den Namibiern ist insbesondere deswegen von Bedeutung, weil sie vor Ort mit einer namibischen Partnerorganisation, der Bildungsdirektion in Zambezi zusammenarbeiten wird. Bildung beziehungsweise deren Planung wird denn auch ihre Kernaufgabe sein.

«Es geht eigentlich darum, mich überflüssig zu machen», sagt sie mit einem Lachen. Spätestens jetzt wird klar, dass hier keine realitätsferne Weltverbesserin am Werk ist, sondern eine bodenständige, lebenserfahrene Frau mit pragmatischen Ansätzen.

Zwar gilt Namibia als Musterschüler auf dem afrikanischen Kontinent, trotzdem liegt gerade verglichen mit schweizerischen Bildungsstandards noch einiges im Argen. «Es geht darum, die Planung und Effizienz zu verbessern», sagt Stanisch. So passiere es heute etwa, dass Bücher an die falsche Schule geschickt würden oder das Budget in den einzelnen Bildungsinstitutionen viel zu früh aufgebraucht sei. «Ich möchte mit Lehrern und Schulleitern darüber sprechen, was sie überhaupt brauchen», sagt Stanisch.

«In der Entwicklungshilfe könnte man viel von der Privatwirtschaft lernen.»

Nicola Stanisch

Als Betriebswirtschaftlerin ist sie immer noch eine Ausnahmeerscheinung in der Entwicklungszusammenarbeit. «In der Entwicklungshilfe könnte man viel von der Privatwirtschaft lernen», ist Stanisch überzeugt. Es sei aber mittlerweile auch vieles im Umbruch. «Wichtig ist beispielsweise, dass man sich Ziele setzt, die messbar sind.»

Fürs Leben gelernt

Für die Absolventin der Hochschule St. Gallen war mit Anfang 50 klar, dass sie ihr Wissen nicht länger für das Erwirtschaften von Profiten einsetzen möchte. «Ich wollte nicht mehr diesen Akquisitionsdruck haben», sagt sie. Für die Karriere habe ihr Einsatz in Indien und jetzt in Namibia nicht viel gebracht, für das Leben dafür umso mehr. Während Stanisch in Indien von ihrem Sohn begleitet wurde, wird sie nun das erste Mal alleine im Ausland leben. Den Kontakt zur Heimat will die Mutter zweier erwachsener Kinder per Skype und Mails pflegen. Aber sie investiere auch aktuell ihre Zeit in Freundschaften – unter anderem in Herrliberg, wo sie aufgewachsen ist und sich zu Hause fühlt.

«Ich freue mich, aber ich habe auch Respekt vor der Aufgabe», sagt Nicola Stanisch mit Blick auf ihr neues Leben. Und sicher wird sie ebenfalls den einen oder anderen Nationalpark besuchen: Sehen wird sie die atemberaubenden Landschaften Namibias aber mit anderen Augen als konventionelle Touristen.