Viel mehr als ein Rücktritt
Mesut Özil spielt nicht mehr für Deutschland. Bissig kommentiert das die «Bild», Hohn kommt von der linken TAZ.

Es ist eine denkwürdige Abrechnung. Eine Abrechnung, die es so im (deutschen) Fussball noch nicht gegeben hat. In einem dreiteiligen, offenen Brief hat Mesut Özil via soziale Medien zum Rundumschlag gegen Fussballverband (DFB), Medien, einige Fans und Sponsoren ausgeholt. Eigentlich ist es eine Abrechnung mit einem ganzen Land. Sein Land, in dem er geboren und aufgewachsen ist, wie der Fussballprofi in seiner Botschaft in Erinnerung ruft. Dennoch fühlt er sich wegen seiner türkischen Wurzeln nicht erwünscht. Harte Worte, die in der breiten Medienlandschaft vor allem eines geweckt haben: Lust zum Kontern.
Boulevard-Blatt schaltet auf Angriff
Gleich zwei Kommentare veröffentlicht die «Bild». Das Boulevard-Blatt schrieb von einer «wirren Abrechnung» mit einem ganzen Land: «In drei Teilen schrieb Özil (...) was ihn am DFB, an den Medien, an seinen Sponsoren, an der Schule seiner Kindheit alles stört, wer alles gemein zu ihm war. Kritik an allem, ausser an sich selbst.»
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Darunter werden ausgewählte Zitate analysiert. Beispielsweise so Özils Vorwurf, gewisse deutsche Zeitungen hätten seine Herkunft und das Foto mit Erdogan genutzt, um mittels rechter Propaganda ihre politische Agenda voranzutreiben: «Hier ist Özil in seinem Weltbild gefährlich nah an Erdogan und anderen Despoten. Wer es wagt, ihn zu kritisieren, muss eine politische Agenda haben.» Oder Özils Aussage, die Medien hätten nicht die Leistung kritisiert, sondern bloss die türkische Herkunft. Sie hätten versucht, Deutschland gegen ihn aufzubringen: «Frei erfundener Unfug. ALLE Medien kritisierten zu Recht Özils Leistung, keine grosse Medienmarke kritisierte je seine Herkunft. Eine Dreistigkeit gegenüber den freien Medien seiner Heimat, denen Özil pauschal und ohne jeden Beleg Rassismus vorwirft.»
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Video: Mesut Özil spielt nicht mehr für Deutschland
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Ausserdem schreibt Özil, dass sich der DFB heuchlerisch verhalte. Während von ihm eine Stellungnahme gefordert worden war, schwieg der DFB zum Diesel-Skandal von Sponsor Mercedes. Dazu meint die «Bild» unter anderem: «Mit Özil und dem Erdogan-Foto hat das rein gar nichts zu tun. Ein Ablenkungsmanöver. Besonders bedenklich: Diese Art von ‹Die anderen sind noch schlimmer›-Rhetorik ist ausgerechnet ein typisches Stilmittel in Reden des türkischen Präsidenten Erdogan ...»
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Der zweite Kommentar ist von einem Zitat von Özil inspiriert: «Genug ist genug.» Dort kritisiert das Medium, der Mittelfeldspieler von Arsenal London sei der einzige deutsche Staatsbürger der Nationalelf, der den Deutschen in englischer Sprache «seine kruden Gedanken mitteilt. Die PR-Strategie als globale Marke scheint ihm wichtiger zu sein, als dass jeder Fan ihn versteht».
Für die TAZ war es «Starrsinn des Bundestrainers», dass Özil überhaupt nach Russland an die WM durfte. Damit habe der DFB einen Sündenbock kreiert: «Wenn auch eher unfreiwillig.» Zu Özils Erklärung, er habe sich mit Erdogan getroffen, weil seine Mutter ihm beigebracht habe, respektvoll zu sein und nicht zu vergessen, wo er herkomme, schrieb die Zeitung aus Berlin etwas höhnisch: «Mami ist also schuld.»
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Özil löst Integrationsdebatte aus
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Die «Frankfurter Allgemeine» kritisiert den Fussballer zudem, dass er keine Haltung zeige: «Er schreibt an der eigentlichen Frage vorbei: Wie steht er zu Menschenrechten, zu Pressefreiheit, wie sie in der Türkei unter Erdogan ignoriert werden?» Dass sich Özil schon mehrmals mit Erdogan fotografieren liess und immer nur über Fussball gesprochen habe, bedeutet für das Blatt im Umkehrschluss: «Es ist egal, für wen ein Mensch, auf den viele andere schauen, den Kinder und Jugendliche bewundern, Werbung macht, solange das Thema nur unverdächtig ist. Demnach wäre auch ein publicityträchtiger Small Talk mit dem syrischen Diktator Assad über die falsche Neun oder eine Plauderei mit einem bekannten deutschen Rechtsradikalen über Verteidigungsstrategien mit einem Schulterzucken ohne weiteres hinzunehmen.» So lautete das Fazit für die FAZ: «Wer sich so haltungslos auf seine kleine Welt beruft und sich auf sie zurückzieht, verrät die Solidarität mit allen, die um Freiheit gekämpft haben – und im Land seiner Eltern darum kämpfen.»
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Die «Süddeutsche» befürchtet negative Folgen für die Gesellschaft: «Dieses brutale Ende zwischen Özil und der deutschen Nationalmannschaft ist nun die wahre Niederlage dieses Sommers - nicht das Vorrundenaus der deutschen Elf. Nein, die Folgen, die diese Verwerfung mit sich bringt, werden viel schwerwiegender sein, als es Pleiten gegen Mexiko und Südkorea je hätten sein können. Verschiedene Seiten werden sich nun ihren Teil der Wahrheit raussuchen und für ihre Zwecke instrumentalisieren.»
Die «Zeit» schreibt, dass in Özils Botschaft «so viel mehr als ein Rücktritt» ist. Man könne sich darüber aufregen, dass ein anständiger Demokrat Erdogan eher die Meinung geigen solle, als huldvolle Fotos mit ihm zu schiessen – und dies dann nicht begründete. Allerdings sei folgender Satz wichtig: «… Ich werde nicht mehr länger für Deutschland auf internationalem Niveau spielen, solange ich das Gefühl habe, rassistisch angefeindet und nicht respektiert zu werden.» Es sei ein historischer Satz: «Ein deutscher Nationalspieler tritt zurück, weil er sich rassistisch angefeindet fühlt. Noch einmal, weil es bis vor kurzem noch so unvorstellbar klang: Ein deutscher Nationalspieler tritt zurück, weil er wieder und wieder rassistisch beleidigt wurde.»
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Bilder: Erdogan trifft deutsche Nationalspieler
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Der Rückzug des 29-Jährigen sei ein fatales Signal «in einer besorgniserregenden Zeit». So hebt die «Zeit» Özils Angriff auf DFB-Präsident Reinhard Grindel hervor. Während seiner politischen Karriere sagte er, Multikulti sei ein Mythos und eine Lebenslüge – und der Islam sei in Deutschland zu fest verwurzelt: «Politikerkollegen bezeichneten den damaligen Grindel jüngst als ‹rechtsaussen› und sagten: ‹Es war reinster AfD-Sprech, bevor es diese Partei überhaupt gab.›» Özil schrieb dazu: «Das ist unverzeihlich und unvergessen.» Auch der «Spiegel» stellte sich aufseiten des Fussballers und forderte vom DFB: «Er sollte endlich die Werte, mit denen er in Werbespots und Antirassismusaktionen glänzt, mit Leben füllen.»
Das düstere Fazit der «Zeit» lautet: «Beim Blick auf die deutsche Nationalmannschaft muss man in diesen Zeiten zu der traurigen Erkenntnis kommen: Wir waren schon mal weiter. Oder glaubten, es zu sein.»
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