Geldberater: Der Marktschrei(b)erÜbertriebene Fantasie bei Dufry
Imagegewinn für Kühne + Nagel +++ Schlimmes Jahr für Swiss Re +++ Zustupf für Meyer Burger +++ Titlis-Bahnen wollen zu viel

Dufry: Halten
Ich muss zugeben, die eindrückliche Erholung von Dufry habe ich verpasst. Der weltweit führende Detailhändler an Flughäfen und anderen touristisch interessanten Orten hat seit Anfang September seinen Wert verdoppelt. Zuvor waren die Titel aber auch in historischem Mass abgestürzt: Das Geschäft mit shoppenden Touristen kam wegen Covid-19 zum Erliegen. Noch immer sind die Titel 45 Prozent billiger als vor einem Jahr. Dufry hat richtig auf die Krise reagiert; mit frischem Geld und einer schlankeren Struktur. Zudem versucht der Konzern, in China besser Fuss zu fassen. Ein Joint Venture mit Alibaba und eine Kooperation mit der staatlichen Hainan Development Holdings verbessern den Zugang zu den kauffreudigen Chinesen. Die damit zusammenhängende Fantasie halte ich jedoch für übertrieben. Im Vergleich mit anderen Regionen ist das Gewicht von China gering. Und: Bis international wieder unbeschwert gereist wird, dauert es noch Jahre. Ich erwarte von den Dufry-Aktien nun eine Verschnaufpause und nehme nach den Jahreszahlen am 9. März einen Realitäts-Check vor. Halten
Kühne + Nagel: Halten
Über kaum ein Thema wird zurzeit intensiver diskutiert als über das Impfen gegen Corona. Wie viel Dosen bekommt welches Land? Wann wird geliefert? Wer kann sich impfen lassen? Wie kommt der Impfstoff zum Impfzentrum? Hier hat sich Kühne + Nagel eindrucksvoll positioniert. Im Dezember meldete der Speditionslogistiker einen Vertragsabschluss mit dem bevölkerungsreichsten deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen über die zentrale Lagerung und tägliche Verteilung der Impfdosen an die 53 Impfzentren des Landes. Unmittelbar nachdem die Europäische Arzneimittelagentur am Mittwoch den Impfstoff von Moderna zugelassen hatte, legte Kühne nach. Das Unternehmen übernimmt den Vertrieb des Impfstoffs des US-Herstellers in Europa, Afrika, Asien, Teilen Amerikas und im Nahen Osten. Zu keiner der beiden Vereinbarungen sind finanzielle Details bekannt. Ich gehe davon aus, dass das Konzernergebnis nicht wesentlich beeinflusst wird. Dennoch sind die Deals bemerkenswert, beweisen sie doch die Flexibilität des Unternehmens. Ein Imagegewinn sind sie allemal. Halten
Swiss Re: Verkaufen
Der Versicherer Swiss Re hat ein schlimmes Jahr hinter sich. Die Pandemie verursachte Betriebsschliessungen und den Ausfall oder die Verschiebung von Grossanlässen wie den Olympischen Sommerspielen. Entsprechend grosse Sonderzahlungen musste Swiss Re schultern. Hinzu kamen Naturkatastrophen. Nach dem Verlustausweis zur Jahresmitte und per Ende September hat der Konzern bis Ende 2020 ein bestenfalls knapp positives Gesamtergebnis erreicht. Doch er ist reichlich kapitalisiert. Die meisten Finanzanalysten erwarten, dass die hohe Dividende der Vorjahre beibehalten wird. Aber eine Ausschüttung aus Reserven bedeutet den Verlust von Substanz. So wird die erwartet kräftige Dividendenrendite den Aktienkurs eher belasten als beflügeln. Das Management achtet darauf, im Rückversicherungsgeschäft höhere Preise durchzusetzen. Aber der Trend bleibt ungünstig. Der Klimawandel birgt die Gefahr, dass dieses Jahr Windstürme, Überschwemmungen und Forstbrände erneut schwere Schäden anrichten. Dass die erhoffte Ertragswende erneut vereitelt wird, würde nicht überraschen. Verkaufen
Meyer Burger: Abwarten
Es ist eine riskante Wette, die der Solartechniker Meyer Burger eingegangen ist. In Ostdeutschland ist das finanziell schwach aufgestellte Unternehmen daran, Produktionslinien für Solarzellen und -module zu errichten – mit Geld, das im vergangenen Jahr nur über eine Kapitalerhöhung aufgetrieben werden konnte. Um die angepeilte Produktionskapazität von 1,4 GW zu erreichen, brauchen die Thuner weitere 180 Millionen Franken. So kommt es mehr als gelegen, dass der deutsche Staat vergangene Woche 22,5 Milliarden Euro an Aufbauhilfen gesprochen hat, um der Solarindustrie in Sachsen zu einer Wiedergeburt zu verhelfen. Dieser Zustupf ist zwar keine Staatsgarantie, erhöht aber die Chancen markant, die weitere Finanzierung zusammenzubekommen, zumal sich Meyer Burger am Kapitalmarkt mangels Kreditwürdigkeit nicht regulär refinanzieren kann. Die Aktien haben sich dank des Staatsengagements um rund ein Fünftel verteuert; sie sind die erfolgreichsten Schweizer Titel im neuen Jahr, bleiben aber risikoreich: Die Konkurrenz ist gross, das Marktumfeld hart, die finanzielle Lage gibt stets Anlass zur Sorge. Für durchschnittliche Anleger stimmt das Risikoertragsprofil nicht. Abwarten
Titlis-Bahnen: Verkaufen
Für die Titlis-Bahnen war 2020 ein Jahr zum Vergessen. Das Geschäftsjahr 2019/20 begann gut, aber bereits im Januar 2020 erliessen die chinesischen Behörden ein Verkaufsverbot von Pauschalreisen, was einem Reiseverbot gleichkam. Mitte März dann der fast dreimonatige Lockdown. Die Schweizer Gäste im Sommer konnten den Ausfall der Touristen aus Indien und China bei weitem nicht kompensieren. Es resultierte ein happiger Verlust von 19,6 Millionen Franken, auf eine Dividende wird verzichtet. Bis die Pandemie so eingedämmt ist, dass das Tourismusgeschäft wieder brummt, wird es dauern. Doch das Management hält am ehrgeizigen Projekt «Titlis 3020» fest, das unter anderem eine Bahnstation mit Restaurants beinhaltet, entworfen von Herzog & de Meuron, nach dem Vorbild eines Kristalls. Ob das Businessmodell «immer grösser und immer luxuriöser» aber langfristig funktionieren wird, bezweifle ich. Denn nach der Pandemie ist vor der Pandemie. Verkaufen
Diese Kolumne wird von den Redaktorinnen und Redaktoren der «Finanz und Wirtschaft» verfasst. Sie haben sich verpflichtet, nicht in den entsprechenden Titeln aktiv zu sein. Wer die Tipps dieser Kolumne umsetzt, tut das auf eigenes Risiko. Die SonntagsZeitung übernimmt keine Verantwortung.
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