Trumps «Mittelfinger ans eigene Land»
Der US-Präsident glaubt Putin mehr als seinen eigenen Ermittlern. Seine Partei mault zwar darüber, bleibt aber folgsam. Alle anderen sind entsetzt.
Als US-Präsident Donald Trump gerade in den Abendhimmel von Helsinki entschwebt war, beschrieb ein anonymer Mitarbeiter des US-Aussenministeriums, was er gerade fühlte: Am Dienstag auf der Arbeit zu erscheinen, erzählte er der Reporterin Tara Palmeri, «ist so, als wärst du auf der Titanic angestellt und dafür zuständig, das Silberbesteck zu putzen. Es erscheint etwas sinnlos.»
Trump kann mit seinem politischen Provokationismus das Land in Dauernervosität stürzen, sein narzisstisches Irrlichtern eine einzige Woche wie Monate erscheinen lassen. Diesmal hat er schon an einem Montag Historisches vollbracht.
Oder, wie der ABC-Fernsehmoderator George Stephanopoulos um Fassung ringend erklärte, als die Gipfel-Pressekonferenz des Präsidenten mit Wladimir Putin gerade zu Ende war und die Studiokameras sich wieder auf ihn richteten: «Sie alle, die das heute gesehen haben, werden ihren Freunden, ihrer Familie, ihren Kindern und Enkeln davon erzählen können, einen historischen Moment erlebt zu haben. Womöglich aber nicht aus positiven Gründen.»
Video: Historischer Moment
Die Weigerung Trumps, seine Ermittlungsbehörden und Geheimdienste zu verteidigen; seine Bereitschaft, ihren Ergebnissen zur russischen Wahleinflussnahme 2016 zu misstrauen und stattdessen das Dementi Putins als glaubhafte Sichtweise zu präsentieren. Die Sätze «Ich mache beide Länder verantwortlich» und «Putin sagt, Russland war es nicht. Und ich sehe keinen Grund, warum es das gewesen sein sollte.» All das sorgt ausserhalb von Trumps Basis für Entsetzen.
Der Gipfel «fühlte sich an, als würde ich der Zerstörung einer Kathedrale beiwohnen.»
Ehemalige Geheimdienstler und Mitarbeiter von Strafverfolgungsbehörden sowie Ex-Diplomaten riefen angesichts solcher Äusserungen die höchste Warnstufe aus: «Nichts Geringeres als verräterisch» sei Trumps Auftritt gewesen, erklärte der ehemalige CIA-Direktor John Brennan. Und der frühere FBI-Direktor und Trump-Lieblingsfeind James Comey twitterte: «Dies war der Tag, an dem ein amerikanischer Präsident auf ausländischem Boden neben einem mörderischen, lügenden Gangster stand und sich weigerte, sein eigenes Land zu unterstützen. Patrioten müssen aufstehen und das Verhalten dieses Präsidenten ablehnen.»
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Selbst der sonst zurückhaltende Ex-Verteidigungsminister Ash Carter erklärte: «Ich habe niemals eine solch einseitige Aufgabe amerikanischer Sicherheitsinteressen und -prinzipien ohne Gegenleistung erlebt oder es mir vorstellen können.» Der Gipfel «fühlte sich an, als würde ich der Zerstörung einer Kathedrale beiwohnen.»
Auch die Demokraten zeigen sich naturgemäss entsetzt. Von einem «grossen Mittelfinger an das eigene Land» sprach der Senator von Connecticut, Chris Murphy. Die nun geforderten Patrioten, so auch ihr Tenor, seien das nationale Sicherheitsteam und die Republikaner in Washington.
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Der von Trump berufene Nationale Geheimdienstdirektor Dan Coats wäre ein Kandidat dafür. Er warnt stets vor russischer Cyber-Einmischung («eine blinkende rote Warnleuchte»), die Relativierung des US-Präsidenten diskreditiert ihn und seine Behörden. Doch Coats beliess es bei einer dürren Stellungnahme: «Wir sind eindeutig in unserer Einschätzung russischer Einmischung.»
Dass Sicherheitsberater John Bolton oder US-Aussenminister Mike Pompeo zurücktreten, gilt wiederum als ausgeschlossen. Anders sieht es womöglich bei Stabschef John Kelly aus. Dessen Abschied wird aber ohnehin im Laufe des Sommers erwartet.
Kritik üben die, die nichts mehr zu verlieren haben
Und das Echo aus den Reihen der Republikaner, die längst Trumps Partei sind, ist zwar deutlich negativer als sonst, aber unter dem Strich weiter verhalten. Am deutlichsten äusserten sich Offizielle aus der Peripherie und Politiker, die nicht zur Wiederwahl stehen.
So wie Jeff Flake, Senator aus Arizona und Ende des Jahres ausscheidend: «Ich hätte nie gedacht, einen Tag zu erleben, an dem ein amerikanischer Präsident auf der Bühne mit dem russischen Präsidenten steht und die USA für russische Aggression verantwortlich macht.»
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Sein todkranker Kollege John McCain liess aus dem Krankenbett mitteilen, dass «der Schaden, den Präsident Trump mit seiner Naivität, seinem Egoismus, seinen falschen Vergleichen und der Sympathie für Autokraten angerichtet hat, schwer zu kalkulieren ist.»
Auch Arnold Schwarzenegger meldete sich mit einem Video. Der ehemalige republikanische Gouverneur von Kalifornien bezeichnete Trump als Putins «Fan-Boy» und fragte sich, ob der US-Präsident noch nach einem Autogramm von seinem russischen Amtskollegen fragen werde. Trump habe die USA verkauft. Der Schauspieler erinnert auch an die starken Worte, die der republikanische Präsident Ronald Reagan 1987 an die Sowjetunion richtete:
Etwas zahmere Kritik kam von Republikanern, die Trump unterstützen, aber im November ihr Amt an Demokraten verlieren könnten. Peter King, Abgeordneter aus New York, zeigt sich «enttäuscht, aber nicht verblüfft» über die Äusserungen des Präsidenten. Will Hurd, texanischer Abgeordneter und früherer CIA-Mitarbeiter, wurde etwas deutlicher: «Ich habe in meiner beruflichen Karriere viele Menschen gesehen, die vom russischen Geheimdienst manipuliert wurden, und ich hätte nie gedacht, dass der US-Präsident einer derjenigen sein würde, die von routinierten KGBlern über den Tisch gezogen wurden.»
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Die meisten Konservativen aber schwiegen: Niemand kann es riskieren, den US-Präsidenten gegen sich aufzubringen, zumal viele Herausforderer in parteiinternen Vorwahlen jede Abweichung vom Trumpismus erfolgreich als Verrat klassifizieren.
Kein Stoppschild für Trump
Und so blieb es bei gut gemeinten Hinweisen, dass Russland «nicht unser Freund» (so der scheidende Mehrheitsführer Paul Ryan und der Geheimdienstausschuss-Vorsitzende Richard Burr) oder «unser Gegner» (Senator Marco Rubio) sei. In Stellungnahmen, die sich Trump nicht einmal beim Namen zu nennen trauten. Und obwohl der Trump-Cheerleader Newt Gingrich vom «grössten Fehler» in dessen bisheriger Präsidentschaft twitterte, forderte er lediglich: eine Klarstellung.
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Und Trump? Auf dem Rückflug von Helsinki in die USA setzte auch er einen Tweet ab und reagierte auf die Kritik aus seiner Heimat.
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«Ich habe RIESIGES Vertrauen in MEINE Geheimdienstleute. Allerdings muss ich auch anerkennen, dass wir uns nicht ausschliesslich auf die Vergangenheit konzentrieren können, um eine bessere Zukunft zu bauen – als die beiden weltgrössten Atommächte müssen wir miteinander auskommen», schreibt der US-Präsident.
Theoretisch, daran wurde am Montag mehrmals erinnert, könnten die 51 republikanischen Senatoren und 236 konservativen Abgeordneten im Repräsentantenhaus Anhörungen veranlassen, dem Präsidenten per Votum die Missbilligung aussprechen oder dafür sorgen, dass sich Trump nicht per Erlass oder indirekt des Sonderermittlers Robert Mueller entledigt. Die Unterstützung der Demokraten hätten sie dabei. Doch ihr Interesse daran, dem US-Präsidenten Einhalt zu gebieten, bleibt auch nach Helsinki unverändert gering.
Immerhin: Für Dienstagnachmittag (Ortszeit/20 Uhr Schweizer Zeit) ist ein Treffen zwischen Trump und Kongressabgeordneten im Weissen Haus angesetzt.
Video: Trump und Putin sind sich einig
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