Protest gegen äthiopischen DiktatorTherapeut für ein geschundenes Land
Teddy Afro, der berühmteste Sänger Äthiopiens, kritisiert mit seiner Musik den Ministerpräsidenten und Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed.

«Er pflanzt Bäume über den Leichen von Zehntausenden Menschen», singt Teddy Afro, der berühmteste Sänger Äthiopiens, den auch der ehemalige US-Präsident Barack Obama zu seinen Lieblingskünstlern zählt. Als der neueste Song von Teddy Afro diese Woche erschien, da wirkte das Lied so aktuell, als habe Afro den Text gerade erst am Morgen geschrieben. Das Land befand sich noch in Schockstarre, nachdem in der Region Oromia mehr als 500 Menschen grausam massakriert worden waren. Nur einer lächelte: Ministerpräsident Abiy Ahmed. Kameras filmten ihn dabei, wie er fröhlich Bäume pflanzte.
Bäume pflanzen und in der Hauptstadt neue Parks eröffnen, das sind mittlerweile die Lieblingsbeschäftigungen des ehemaligen Hoffnungsträgers, der 2019 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.
Abiy Ahmed galt bei seinem Amtsantritt 2018 als Reformer, als erster Ministerpräsident aus der Volksgruppe der Oromo, die zwar die Mehrheit in Äthiopien stellt, aber jahrzehntelang von der kleinen Gruppe der Tigray unterdrückt wurde. Abiy versprach Reformen, ein neues Äthiopien, in dem alle etwa 80 Volksgruppen ihren Platz fänden. Das Gegenteil ist eingetreten, Äthiopien befindet sich seit Ende 2020 im Bürgerkrieg, alte Rechnungen werden beglichen, neue Wunden aufgerissen, es ist kaum noch zu überblicken, wer wo gegen wen kämpft.
«Geblendet von seiner Krone»
«Geblendet von seiner Krone bricht er seine Versprechen», singt Afro nun in seinem neuen Lied, eine auf den ersten Blick harmlose Zeile, die auf den zweiten Blick aber hochpolitisch ist, weil jeder weiss, dass sie auf Abiy gemünzt ist, dem seine Mutter versprach, er werde eines Tages König sein. Und so benimmt er sich auch, entrückt und rechthaberisch. Wer nicht seiner Meinung ist, landet schnell im Gefängnis, Dutzende Journalisten wurden verhaftet oder ausgewiesen. Abiy tut so, als gehe es dem Land ganz blendend, obwohl Zehntausende gestorben sind in den vergangenen Jahren.
Afro singt nun von seinem Schmerz, über das, was dem Land passiert. Sein Lied ist für viele eine Art therapeutische Sitzung, in der nun ausgesprochen werden darf, worüber zumindest in der Öffentlichkeit nicht geklagt werden durfte. Tod und Leid waren immer die Schuld des Gegners, der anderen Volksgruppe. Afro singt nun: Humanität ist grösser als die Grenzen einer Nation.
Millionen bejubeln seinen Song, den es bisher nur auf Amharisch gibt, der aber auf verschiedenen Kanälen bereits übersetzt wurde. In einem so polarisierten Land wie Äthiopien ist die Euphorie aber nicht einhellig, auch Afro wird vorgeworfen, zur Eskalation beigetragen zu haben.
Nur die Flagge, sonst nichts
Er entstammt einer Musikerfamilie und wuchs in einer kommunistischen Diktatur auf, die von einem autoritärem Einparteiensystem abgelöst wurde, bevor Abiy Ahmed dann vom Hoffnungsträger zum Kriegstreiber wurde.
Afro beschwört in seinen Songs die vermeintlich grosse Kaiserzeit, die Einzigartigkeit des Landes, das als einziges in Afrika nie kolonialisiert wurde. Wenn er aber von der Grösse der Kaiser singt, die alle der Gruppe der Amhara entstammen, dann fühlen sich andere Volksgruppen an Unterdrückung und deren Eroberungsfeldzüge erinnert. Afros neuer Song kommt weitgehend ohne historische Verklärung aus, er ist ganz im Jetzt, im Schmerz der vielen Verluste. Er singt für ein friedliches und geeintes Äthiopien. Im Video dazu weht nur die Flagge des Landes, sonst nichts.
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