Streit um soziale MedienMeret Schneider: «Notfalls müssen X oder Tiktok gesperrt werden»
Zwischen Donald Trump und der EU schwelt ein Machtkampf um die Regulierung der sozialen Medien. Der Bundesrat hat ebenfalls ein Gesetz vorbereitet, zögert nun aber.

- Im Gegensatz zu den USA will die EU die sozialen Medien stärker regulieren.
- Auch die Schweiz plant ein Regulierungsgesetz. Der Bundesrat wollte es im März 2024 präsentieren. Doch die Vorlage sei noch nicht reif, heisst es über ein Jahr später.
- Grüne-Nationalrätin Meret Schneider macht nun einen Vorstoss. Die Schweiz müsse handeln, Plattformen wie X und Tiktok gefährdeten die Demokratie.
Die Ansage von J. D. Vance war deutlich. «Es bereitet der Trump-Regierung Sorgen, dass andere Staaten planen, die Schrauben gegen amerikanische Techfirmen anzuziehen», sagte der amerikanische Vizepräsident Anfang Woche am KI-Gipfel in Paris. «Amerika wird das nicht akzeptieren. Es ist ein schrecklicher Fehler – für die USA, und auch für die betreffenden Staaten.» Die EU sei mit ihrem Social-Media-Regulierungsgesetz (Digital Services Act, DSA) zu weit gegangen.
Schon im Herbst hatte Vance gedroht, die USA würden die Nato verlassen, sollte die EU weiterhin gegen Techfirmen wie X, Meta oder Tiktok vorgehen. X gehört Elon Musk, Donald Trumps Berater.
Bis jetzt liess sich die EU davon nicht beeindrucken. Im Sommer 2024 stellte sie Verstösse von X fest wegen gekaufter Verifizierung durch blaue Haken, mangelnder Transparenz bei der Werbung und fehlenden Datenzugangs für Forscher. Auch gegen Meta und Tiktok laufen Verfahren.
Den Unternehmen drohen Bussen in Höhe von 6 Prozent ihres weltweiten Jahresumsatzes. Meta, zu der etwa Facebook, Instagram und Whatsapp gehören, setzte 2023 rund 135 Milliarden Dollar um. Bei X betrug der letzte publizierte Umsatz 3,4 Milliarden.
Auch der Bundesrat plant ein Gesetz zu Social Media
Das EU-Regulierungsgesetz ist seit 2022 in Kraft – etwa zur selben Zeit reifte im Bundesrat der Plan, die Techgiganten ebenfalls mit einem Gesetz zurückzubinden. Das Infrastrukturdepartement Uvek von Bundesrat Albert Rösti wurde im Frühling 2023 mit der Ausarbeitung beauftragt. Angelehnt an den DSA der EU sind das die geplanten Eckwerte:
Heute können Social-Media-Plattformen Nutzerkonten sperren oder Inhalte löschen, ohne dass die Betreffenden sich dagegen wehren oder Auskunft einfordern können. Grosse Techfirmen sollen eine Kontaktstelle und einen Rechtsvertreter in der Schweiz haben. Zudem sollen sie eine Schlichtungsstelle schaffen und diese selber finanzieren.
Werbung soll neu als solche gekennzeichnet werden müssen. Bei zielgruppenspezifischer Werbung sollen die wichtigsten Kriterien genannt werden, damit der Nutzer weiss, warum er genau diese Werbung zu sehen bekommt.
Aufruf zu Hass, Gewalt oder Drohungen sollen einfacher gemeldet werden können. Plattformen müssen der Information nachgehen und den Melder auf dem Laufenden halten, wie sie damit umgehen.
Doch bei der Umsetzung des Gesetzes harzt es – der Bundesrat hat die Vernehmlassung zuerst von Frühling auf Herbst 2024 verschoben, dann auf Anfang 2025. Nun scheint es noch länger zu dauern. «Die Vorlage ist noch nicht vernehmlassungsreif, mehr können wir nicht sagen», heisst es beim Uvek.
Für die Befürworter der Vorlage kann es nicht schnell genug gehen. Nach Donald Trump unterstützt nun auch X-Besitzer Elon Musk die AfD, am nächsten Sonntag finden in Deutschland Wahlen statt. Seine Gegner vermuten, dass er auf seiner Plattform den Posts von AfD-Leuten grössere Reichweite verschafft.

Eine der Vorkämpferinnen für die Regulierung der sozialen Medien in der Schweiz ist Grüne-Nationalrätin Meret Schneider. Sie bereitet derzeit einen Vorstoss vor, um Bewegung in die Sache zu bringen. «Die EU geht schon lange gegen Techgiganten vor, und wir sind einfach tatenlos», sagt Schneider. Plattformen wie X, Facebook oder Tiktok seien eine Gefahr für die Demokratie, der Wahlkampf in Deutschland zeige dies deutlich. «Posts, die der AfD nützen, werden gepusht, gegnerische Inhalte hingegen unterdrückt.»
Es brauche dringend Regeln, und in letzter Konsequenz müssten diese Plattformen auch gesperrt werden können, sagt sie. «Heute betrifft es Deutschland, in ein paar Jahren vielleicht die Wahlen in der Schweiz.»
Angst vor Gegenmassnahmen?
Auch Angela Müller, Geschäftsführerin der NGO Algorithm Watch CH, wartet seit Monaten auf den Gesetzesentwurf. «Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass die welt- und aussenpolitischen Entwicklungen das Dossier verkompliziert haben», sagt sie. Die USA hätten ja in anderem Zusammenhang bereits angetönt, dass sie eine Regulierung mit Gegenmassnahmen bestrafen würden.
In einem Positionspapier von Algorithm Watch, das demnächst publiziert wird, heisst es, der Algorithmus der Plattformen sei auf maximale Verweildauer und Interaktion ausgerichtet, um den Profit zu maximieren. Das mache es einfach, auf Social Media polarisierende oder falsche Inhalte zu verbreiten, die Einzelpersonen schaden oder der Demokratie zuwiderlaufen.

Die Nutzerinnen und Nutzer würden dies aber nicht bemerken, so die NGO, denn es gebe keinerlei Transparenz. Die Schweiz könne nicht abschätzen, welchen Einfluss das auf ihre Demokratie habe, dafür bräuchte die Forschung Zugang zu Daten, was aber weitgehend verwehrt werde.
Auch eine KI-Regulierung sei wichtig und müsste mit einer Social-Media-Regulierung einhergehen: Algorithm Watch hat vor den eidgenössischen Wahlen 2023 recherchiert und herausgefunden, das KI-Chatbots oft falsche, irreführende oder veraltete Antworten auf wichtige Fragen geben. «Trotzdem integrierten Suchmaschinen wie Google oder Bing diese Chatbots und gaukeln vor, dass es sich um zuverlässige Informationen handelt», sagt Angela Müller.
«Zensurgesetz ist brandgefährlich»
Doch es gibt auch Widerstand gegen eine Regulierung, vor allem aus SVP und FDP. Franz Grüter, Luzerner SVP-Nationalrat und IT-Unternehmer, hält das Ansinnen für «brandgefährlich». Ein solches Gesetz würde dem Staat Zensurinstrumente in die Hand geben und zu Marktverzerrungen führen, sagt er. «Ich will kein staatlich betreutes Denken in der Schweiz.»
Es könne sein, dass die Algorithmen zu einer verzerrten Wiedergabe führten. Doch er vertraue auf die Mündigkeit der erwachsenen Nutzerinnen und Nutzer, die erstens mit eigenen Beiträgen für Meinungsvielfalt auf Social Media sorgten. Zweitens seien die Plattformen nicht die einzige Informationsquelle, es gebe noch viele andere.

Grüter kritisiert auch die eidgenössische Medienkommission (Emek), die Mitte Januar auf die Wichtigkeit einer Regulierung hingewiesen hat. «Die Emek gehört aufgelöst», sagt Grüter. Ihre Positionen seien alt, ideologisch geprägt und weit weg von der Realität des liberalen Markts.
Auch FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt ist kritisch. «Ich stelle mir bei solchen Themen immer die Frage: Welches Ziel soll mit einer Regulierung erreicht werden? Und ist es das richtige Mittel?» Regulieren per se sei nicht erstrebenswert, sagt Silberschmidt.
Es sei doch so in der digitalen Welt: «Die USA erfinden, China kopiert und Europa reguliert.» Die Schweiz solle diesen Teufelskreis besser verlassen und versuchen, selber wieder zu den globalen Innovatoren zu gehören.
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