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So viel ist die Wunderübung wirklich wert

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Doppelsalto, ausgefallene Tanzbewegungen, ein spektakulär gesprungener Spagat – die amerikanische Kunstturnerin Katelyn Ohashi eroberte mit einer atemberaubenden Übung die Herzen der Sportfans. Millionen auf der ganzen Welt haben sich das Video des Auftritts vom vergangenen Wochenende bereits angesehen, für den Ohashi an einem College-Wettkampf in den USA die Höchstnote 10,0 erhielt.

Die «perfect 10» ist eigentlich abgeschafft, 2007 hat sie der internationale Turnverband ersetzt durch eine nach oben offene Skala. Dadurch sind beliebig hohe Noten möglich – die Besten erreichen derzeit über 16,0. Der amerikanische Hochschulverband aber behielt die Taxierung mit einer Bestmarke bei, die Wettkämpfe sollen dadurch an Spektakel gewinnen – da der Superlativ lockt. Der Auftritt von Ohashi gibt den Machern der Serie recht: Im Internet wird die 21-jährige aus Seattle für die Topnote gefeiert.

«Ein Riesenspektakel»

Aber was ist sie im internationalen Vergleich wert? Mag Ohashis Auftritt den Leistungen von Simone Biles standhalten? Gegen die vierfache Olympiasiegerin hatte Ohashi einst geturnt und teilweise sogar triumphiert, ehe sie sich mehrfach schwer verletzte und die Profikarriere beenden musste. Oder auch: Wie steht Ohashis «perfect 10» im Vergleich mit Giulia Steingruber da? Die St. Gallerin war 2016 mit einer ähnlich ausdrucksstarken Kür Boden-Europameisterin geworden.

Als Jury amtet Christine Frauenknecht. Die Appenzellerin ist die beste Kampfrichterin der Schweiz und hat an unzähligen internationalen Titelkämpfen gewertet, darunter an Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften. Tausende von Übungen hat sie in ihrer mehr als 40-jährigen Karriere taxiert.

Für Redaktion Tamedia benotet sie die Kür von Katelyn Ohashi, und auch wenn ihr persönlich der Auftritt gefällt und sie diesen «ein Riesenspektakel» nennt, ist ihr Urteil klar: Nach Massstäben des internationalen Turnverbandes (FIG) verdient Ohashi keine allzu hohe Note.

Christine Frauenknecht (57): Seit über 40 Jahren ist die Appenzellerin Kampfrichterin.

Konkret gibt sie der Amerikanerin nach Berechnung des Ausgangswerts und Bewertung der Ausführung eine 12,600. Damit verpasste Ohashi selbst bei einer EM den Gerätefinal klar. Steingruber gewann ihr EM-Gold mit 15,200 Punkten.

Der Ausgangswert setzt sich aus den acht schwierigsten Elementen einer Übung zusammen. Bei Ohashi beträgt er 4,5. Zum Vergleich: Steingruber war an der EM auf 6,4 gekommen, Biles bei Olympia gar auf 6,8. Ohashis klar schwierigstes Element ist ein gestreckter Doppelsalto gleich zu Beginn – ein sogenanntes F-Teil. Des Weiteren fliessen vier C-Teile in die Wertung sowie drei B-Teile. Im letzten Teil der Kür turnt Ohashi vor allem Wiederholungen von bereits gezeigten Teilen – keine von ihnen zählt deshalb noch.

Erinnerungen an Comaneci

Frauenknecht weist darauf hin, dass sich der Ausgangswert nur bedingt vergleichen lasse: Sie hat die Übung nach den Wertungsvorschriften der FIG gewertet, jene des US-Hochschulverbandes NCAA kennt sie nicht.

Vergleichen lässt sich allerdings die Ausführung. So ist ein angewinkeltes Bein im Turnen in jedem Fall eine Unsauberkeit und muss mit Abzügen bestraft werden. Doch eine «perfect 10» impliziert, dass es keinerlei Abzüge gab. So wie 1976 bei Nadia Comaneci, als die Rumänin am Stufenbarren erstmals in der Geschichte der olympischen Turnwettbewerbe (aber nicht als erste Turnerin überhaupt) die Höchstnote erhielt. Die Rumänin war der Star von Montreal 1976.

Das Notenblatt von Christine Frauenknecht mit den Zeichnungen für die verschiedenen Elemente zeigt: Insgesamt 11 Fehler und 1,9 Punkte Abzug.

Bei den Abzügen sind die Kampfrichter gnadenlos. Selbst für ihre besten Sprünge erhält Steingruber jeweils sechs, sieben Zehntel abgezogen. In der Bodenübung von Katelyn Ohashi sieht Frauenknecht nicht weniger als 11 Fehler. Dazu zählen gespreizte Beine, wo sie geschlossen sein müssten. Oder allzu offensichtliche Zwischenhüpfer. Insgesamt zieht Frauenknecht der Amerikanerin von den maximal 10 Punkten 1,9 ab. Sie sagt: «Katelyn ist an vielen Orten unsauber. Wie die Kampfrichter auf eine 10,0 kommen können, erschliesst sich mir nicht.»

Statt einer «perfekten 10» stehen bei der Ausführung so 8,1 Punkte. Seit der Umstellung auf das oben offene Notensystem werden Ausgangswert und Ausführung addiert. 4,5 + 8,1 = 12,600.