Vor dem Kanzler-Triell bei RTLSie fühlt Laschet, Scholz und Baerbock auf den Zahn
Pinar Atalay war eines der bekanntesten News-Gesichter der ARD, jetzt moderiert sie beim Privatsender RTL die erste TV-Kanzlerdebatte dieses Wahlkampfs.

Wer Nachfolger oder Nachfolgerin von Angela Merkel im Kanzleramt wird, ist einen Monat vor der Bundestagswahl noch völlig unklar. Entsprechend grosses Interesse ziehen deshalb die drei Debatten an, denen sich die Kandidaten am Fernsehen stellen. Bei RTL, dem grössten Privatsender Deutschlands, treten diesen Sonntagabend der Christdemokrat Armin Laschet, der Sozialdemokrat Olaf Scholz und die Grüne Annalena Baerbock erstmals gegeneinander an. Moderiert wird die Sendung von RTL-«Urgestein» Peter Kloeppel – und Neuzugang Pinar Atalay.
Als die 43-jährige Atalay im Juni die ARD verliess, um bei RTL anzuheuern, war dies eine Sensation – und ein Debakel für das Erste Deutsche Fernsehen. Atalay hatte die «Tagesthemen» moderiert, die bedeutendste Nachrichtensendung des öffentlich-rechtlichen Senders, als erste Präsentatorin mit türkischen Wurzeln. RTL hingegen war eher für seine Trash-Formate bekannt als für hochstehende politische Information.
Informationsoffensive der Privaten
Das Engagement war denn auch Teil einer strategischen Neuausrichtung: RTL will weg vom Image des Häme- und Ekel-Senders, hin zu einem freundlicheren Auftritt und mehr gesellschaftlicher Relevanz. Und investiert deswegen in die Information. Der Sender entliess die Lästerkönige Dieter Bohlen und Oliver Pocher und stellte dafür den langjährigen ARD-Chefnachrichtensprecher Jan Hofer sowie Atalay ein. Konkurrent Prosieben tat zur selben Zeit das Gleiche, indem er der ARD Linda Zervakis und Matthias Opdenhövel ausspannte.
Nicht nur in der Schweiz, auch in Deutschland fällt es dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen zunehmend schwer, seine Stars zu halten. Atalay wird bei RTL nicht nur deutlich mehr verdienen als bei der ARD, sondern auf Anhieb auch das gesamte «Nachrichten- und Informationsangebot» des Senders «in zentraler Rolle mitgestalten», wie ihr Chef zur Begrüssung sagte. Kaum war Atalay für die bisherige Sendung «RTL aktuell» verpflichtet, bot man ihr zusätzlich Auftritte in der neuen Abendsendung «RTL direkt» an, die sie mit Hofer moderieren wird. Mit ihr sucht RTL um 22.15 Uhr die direkte Konkurrenz zu den «Tagesthemen».
Ihre Eltern boxten in der ostwestfälischen Provinz durch, dass die gewitzte Pinar aufs Gymnasium durfte. Nach der Matura eröffnete sie lieber erst eine Boutique, als zu studieren, und ging dann zum Radio, um Geld zu verdienen. «Schwimmen muss man selbst» heisst der Titel ihres Buches, das im Oktober erscheint und ihre Geschichte erzählt.
Es zu den «Tagesthemen» zu schaffen, sei ihr wichtig gewesen, sagte sie im Frühling in einem TV-Talk, gerade weil man als Tochter von Einwanderern dann eben keine Integrationssendung moderiere, «sondern alles». Ein paar Monate später ist Atalay nicht mehr nur in der Mitte des deutschen Alltags angekommen, sondern sogar im Zentrum des spannendsten Wahlkampfs seit vielen Jahren.
Dominique Eigenmann ist seit 2015 Deutschlandkorrespondent in Berlin. Nach einem Studium der Germanistik und Philosophie in Zürich und Paris begann er 1994, für den «Tages-Anzeiger» zu schreiben.
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