Proteste in SchwedenProvokationen gegen die Türkei könnten Schwedens Nato-Beitritt gefährden
Nicht nur in der Türkei herrscht grosse Empörung nach der Verbrennung eines Korans in Schweden. Nun folgt ein heftiger Streit, um Erdogan-Karikaturen.

Das türkisch-schwedische Empörungskarussell dreht sich mittlerweile so schnell, dass man kaum noch hinterherkommt. Am Samstagmittag brannte ein Koran, nachmittags zogen Sympathisanten der kurdischen Befreiungsarme durch die Stockholmer Innenstadt und liefen dabei über ein Foto von Recep Tayyip Erdogan. Die Demonstranten führten eine Puppe des türkischen Präsidenten mit sich, die sie zehn Tage zuvor an den Füssen aufgehängt hatten. All das führte in der Türkei, aber auch in vielen arabischen Ländern am Wochenende zu grossen Protesten.
Jetzt kommt auch noch ein Erdogan-Karikaturenwettbewerb dazu: Die sozialistische Zeitschrift Flamman hat dazu aufgerufen, als symbolische Verteidigung der Meinungsfreiheit und Protest gegen die schwedische Regierung, die ihrer Meinung nach in dem Versuch, der türkischen Regierung die Zustimmung zum schwedischen Nato-Beitritt abzutrotzen, die demokratischen Werte verrät. Nach eigenen Angaben gingen bei der Redaktion 400 Einsendungen ein. Das Gewinnerbild zeigt einen alten Mann, der in beiden Händen einen kleinen Menschen hält und drauf und dran ist, ihm mit vampirhaften Fangzähnen den Kopf abzubeissen. Anscheinend hat er ihm schon die Füsse verstümmelt. Im Opfer des Menschenfressers kann man der Bekleidung nach einen kurdischen Widerstandskämpfer vermuten.
Harems-Pascha mit kleinem Lustsklaven
Der Künstler, ein Absolvent der Stockholmer Kunsthochschule, spielt an auf Goyas düsteres Gemälde «Saturn verschlingt seine Kinder», das Leonidas Aretakis, der Flamman-Herausgeber im Gespräch mit dieser Zeitung als «künstlerische Antwort auf die Schrecken des Krieges und der Inquisition» deutet. «Nur dass es diesmal Erdogan ist, der seine eigenen Kinder frisst.» Fünf schwedische Zeitungen, darunter Expressen, sowie die finnische Ny Tid haben in einem publizistischen Schulterschluss erklärt, die Karikatur ebenfalls veröffentlichen zu wollen.
Das Gewinnerbild ist wahrscheinlich zu artifiziell und abstrakt für grosse Twitter-Empörung. Flamman wird aber noch 16 weitere Bilder aus dem Wettbewerb zeigen, die weniger subtil sind, zeigen sie Erdogan und seinen schwedischen Kollegen Ulf Kristersson doch beispielsweise als schwules Bondage-Pärchen oder als Harems-Pascha mit kleinem Lustsklaven. Wenn diese Bilder viral gehen, und davon ist auszugehen, dürfte es nicht leichter werden mit den schwedisch-türkischen Verhandlungen.

Schon die Puppenaktion bezeichneten türkische Regierungsmitglieder als «Terror» und die Demonstranten als «Terroristen». Ein Sprecher Erdogans verglich die Koranverbrennung mit der Reichspogromnacht 1938, was eher etwas über die Masslosigkeit der türkischen Empörung sagt als über die geschmacklos populistische Einmannaktion des dänischen Rechtsextremen Rasmus Paludan.
Halbwahrheiten mit Hetze vermengt
Dazu kommt noch der weltweite Internetmob, der hektoliterweise Öl ins Feuer giesst, indem Halbwahrheiten mit Hetze vermengt werden. So insinuierte etwa der tschetschenische Provinzdiktator Ramsan Kadyrow, hinter der Koranverbrennung stünde die schwedische Regierung: «Ich bin der festen Überzeugung, dass diese abscheuliche Tat nicht nur genehmigt, sondern auch von politischen Kräften initiiert und bezahlt wurde. Sonst wäre eine so harte und herausfordernde Provokation nicht genehmigt worden.»
Die traurige Pointe: Kadyrow trifft insofern einen Punkt, als im Nachhinein herauskam, dass es die Schwedendemokraten waren, die Rasmus Paludan sowohl die Demonstrationsgebühren als auch die Kosten für seinen Flug aus Kopenhagen bezahlt haben. Die Schwedendemokraten sind zwar nicht Teil der schwedischen Dreiparteienkoalition, haben aber dadurch, dass sie bei der Wahl im vergangenen Herbst die meisten Stimmen im konservativen Lager bekommen haben, immensen Einfluss auf die Regierungspolitik.
Paludan, der auch die schwedische Staatsangehörigkeit besitzt, spulte während seiner Koranverbrennung im Grunde das rechtspopulistische Programm der Schwedendemokraten ab, indem er gegen Migranten und Muslime hetzte und sie allesamt als Verbrecher und Sozialschmarotzer brandmarkte.
Fehler gefunden?Jetzt melden.