Powerplay gegen Schweizer Hilfswerke
Die Schweizer Bevölkerung ist in Spendierlaune. Trotzdem stehen die nationalen Hilfswerke immer mehr unter Druck – und zwar in mehrfacher Hinsicht.

Laut der schweizerischen Zertifizierungsstelle für Hilfswerke spenden 80 Prozent der hiesigen Haushalte Geld für humanitäre Zwecke. Das ist europäisch gesehen ein Spitzenplatz. Zum Vergleich: In Frankreich, Österreich und Schweden würden 60 Prozent der Haushalte spenden, in Spanien und Italien seien es gerade mal 20 Prozent, schreibt Media CH. Der Zeitungsverbund weist darauf hin, dass im Jahr 2017 total 1,85 Milliarden Franken an Spenden gesammelt wurden – eine Rekordsumme.
Trotzdem schrillen bei Schweizer Hilfswerken die Alarmglocken. «Immer mehr sehen das Geld ins Ausland abfliessen. Der Entwicklungshilfe stünden unsichere Zeiten bevor», weiss Media CH. So müsse das Heks den Gürtel enger schnallen und die Entwicklungszusammenarbeit in Moldau, Zimbabwe und Indien beenden. Das Hilfswerk der evangelischen Landeskirche, das jüngst schlechte Zahlen publizierte, muss 25 Mitarbeitenden im In- und Ausland kündigen. «Immer häufiger wollen sehr potente Organisationen aus dem Ausland auch ein Stück von diesem Spendenkuchen», erklärt das Heks.
Das ist aber nicht der einzige Grund, warum die Sorgenfalten der Hilfswerke grösser werden. Das Heks, Caritas oder das Schweizerische Rote Kreuz müssen feststellen, dass der Bund offenbar bei Aufträgen für die Entwicklungshilfe auch ausländische Hilfsorganisationen berücksichtigt. Schweizer Organisationen dagegen haben beim Zugang zu EU-Ausschreibungen zunehmend schlechtere Karten.
Der Entscheid aus Brüssel
Dazu kommt, dass die EU-Kommission Ende letzten Jahres beschlossen hat, zehn Schweizer Hilfswerken den Geldhahn zuzudrehen. Das sind immerhin 50 Millionen Franken, die Caritas, Solidar Suisse, Médecins sans Frontières oder Terre des Hommes nun fehlen. In einem Brief der Generaldirektion Humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz der Europäischen Kommission vom 21. Dezember 2018 begründete die Behörde in Brüssel den Schritt mit der fehlenden Rechtsgrundlage.
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Keine europäischen Gelder mehr: Alexander Koch von World Vision Schweiz nimmt Stellung. (Video: Keystone-SDA)
Mark Herkenrath, Geschäftsleiter von Alliance Sud, der Interessenorganisation mehrerer nationaler Hilfswerke, vermutete damals hinter dem Schritt «politische Ränkespiele». Die EU handle vor dem Hintergrund des nahenden Brexit. Die Leidtragenden seien letztlich die Notleidenden in den Entwicklungsländern, erklärte er gegenüber der SDA. Auch Felix Gnehm, Co-Direktor von Solidar Suisse, bedauerte den Entscheid. «Mittel- und langfristig fällt für uns ein wichtiger Geldgeber weg», sagte er. Nun müssten Wege gefunden werden, mit anderen Beiträgen zu arbeiten.
Auch der politische Druck in Bern wächst
Neben dem Kampf um das liebe Geld stellen sich den Schweizer Hilfswerken weitere Probleme. Die Rahmenbedingungen seien in den letzten Jahren immer schwieriger geworden. «Insbesondere aus politischen Gründen: Die Entwicklungszusammenarbeit der Hilfswerke steht teilweise massiv in der Kritik – aus unserer Sicht natürlich zu Unrecht», gab das Heks gegenüber SRF Ende März zu verstehen. «Vor allem bürgerliche Politiker fordern, dass die Schweizer Entwicklungshilfe stärker den Interessen des Landes dient. Gelder sollen primär dort eingesetzt werden, wo sie eine Wirkung auf die Migration nach Europa erzielen», schreibt Media CH.
Der ehemalige Nationalrat und Direktor von Caritas Schweiz Hugo Fasel (CSP) mahnt, dass kein Stein auf dem anderen für die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit bleibe. «Wir erleben vielleicht gerade die bewegteste Zeit, seit es überhaupt Entwicklungszusammenarbeit gibt.» Im vergangenen Sommer kündigte der Bundesrat an, dass die Entwicklungshilfe sich mehr an Schweizer Interessen orientieren müsse. Die Hilfswerke sind nun gespannt, in welche Richtung die Regierung in Bern einschlagen wird. Immerhin profitieren sie auch von staatlichen Mitteln (2017 waren es 200 Millionen Franken). Und die SVP plant, Entwicklungsgelder in die AHV umzulagern.
Den Hilfswerken steht demnach nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch eine unsichere Zeit bevor. Dass sie im Wahljahr 2019 im Herbst auf einen Sieg von Links-Grün hoffen, ist verständlich: Linke und grüne Parlamentarier sind normalerweise gegenüber der Entwicklungshilfe weniger kritisch und skeptisch eingestellt als bürgerliche Politikerinnen und Politiker.
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