Mamablog: Bericht eines SeklehrersPositivere Schulpresse, bitte!
Verwilderte Schüler, frustrierte Lehrpersonen, Sex und Schlägereien auf dem Schülerklo – unser anonymer Autor hat genug von den negativen Schlagzeilen zum Schulbetrieb.

Im vergangenen Jahr hatten die Medien fast nur negative Erfahrungsberichte von Lehrpersonen publiziert: Diese empörten sich über unhaltbare Zustände in den Schulen oder waren eine Abrechnung einer frustrierten Oberstufenlehrerin. Ein Sek-B-Lehrer klagte in der «Sonntagszeitung» von «regelrecht verwilderten Schülern», während eine ehemalige Lehrerin im «Blick» tendenziös titelte «Schule geben? Nie wieder!». Die heutige Boulevardjournalistin schrieb von wüsten Schlägereien und Sex auf dem Schülerklo. Wer das ungefiltert gelesen hat, ist überzeugt: Schweizer Schulen plagen ähnlich desaströse Zustände wie gewisse Brennpunktschulen in einem Berliner Problemquartier.
Neues Jahr, neue gute Vorsätze und höchste Zeit für einen positiven, wenn auch realistisch-kritischen Lehrerbericht.
Ich will diese Medienberichte nicht kleinreden, aber solche Empörungsartikel bestärken nur negative Meinungen und bestätigen verunsicherte Eltern, ihre Kinder in eine Privatschule zu schicken. Viel schlimmer aber: Junge motivierte Menschen wollen nicht mehr Lehrerin oder Lehrer werden. Darum: neues Jahr, neue gute Vorsätze und höchste Zeit für einen positiven, wenn auch realistisch-kritischen Lehrerbericht.
Mehr Dompteur als Lehrperson
Die Arbeit mit Jugendlichen kann sehr anstrengend sein: Oft ist man mehr Dompteur als Lehrperson, doch genau diese Mischung macht es aus. Wenn ich diesen pädagogischen Spagat in einer gesunden Balance halten kann, habe ich den besten aller Berufe. Als Sekundarlehrer muss ich zunächst Unterrichtsinhalte vermitteln. Gleichzeitig bin ich aber in Personalunion auch: Friedensrichter, Polizist und Berater für alle anderen Lebensprobleme. Wir Lehrpersonen sind damit – nebst den Eltern – somit die prägendsten Figuren im Leben der Jugendlichen – im Guten wie im Schlechten.
Im Klassenzimmer stehen wir Teenagern immer noch allein gegenüber – wie Alleinunterhalter.
Die meisten Lehrpersonen finden nicht das Unterrichten problematisch, sondern ihre Rolle als Dompteur. Wer dies verneint, verklärt entweder die Realität, äussert sich nicht aus beruflicher Scham oder ist wirklich eine Top-Lehrperson. Wir sind zwar längst nicht mehr die pädagogischen Einzelkämpfer, doch im Klassenzimmer stehen wir Teenagern immer noch allein gegenüber – wie ein Alleinunterhalter, allerdings mit Zwangspublikum.
Ich habe täglich (um beim Vergleich Alleinunterhalter zu bleiben) eine mehrstündige Vorstellung, bei der ich ständig aufmerksam sein muss und nebenbei noch unterrichten sollte. Glücklicherweise habe ich einen tiefen Ruhepuls, denn während einer anstrengenden Lektion erreicht man immer wieder den Herzschlag eines Formel-1-Piloten. Sicher, diese körperliche Ausnahmesituation kommt nicht immer vor. Meine Schulleitung ist zudem genug sensibel und erkennt, wenn die Vitalwerte der Lehrerinnen und Lehrer nur noch im roten Bereich rotieren.
Langeweile oder Müdigkeit? Kenne ich nicht!
Genau dieses Adrenalin, das auch Glückshormone produziert, macht meinen Beruf aber so spannend. Als Lehrer stehe ich ständig unter Strom. Doch das ist gut so, denn das treibt mich an und manövriert mich auch durch schlechte Schultage. Im Gegensatz zu meiner früheren Tätigkeit auf einer Bank hatte ich in all meinen Jahren als Lehrer kaum einen Moment, wo mich Langeweile oder gar Müdigkeit überkamen. Im Büro freute ich mich jeweils vor allem auf den Freitag. In meinem Schulalltag rast die Zeit manchmal dermassen schnell, dass ich gar keine Zeit habe, um auf die Uhr zu schauen. Das spricht klar für meinen Beruf: Wer die Zeit vergisst, ist mit Leib und Seele dabei und betrachtet seine Arbeit nicht als Zeitverschwendung.
Das sind dann die Hühnerhautmomente, von denen man als Lehrperson noch lange zehren kann.
Leider werden unsere Bemühungen zu wenig geschätzt. Ich weiss: Heute haut man lieber auf den Tisch, während man die leisen Dankesworte im Tohuwabohu der neuen Motzgesellschaft überhört. Es gibt sie aber noch, die pädagogische Genugtuung, die mich in diesem Beruf hält. So erst kürzlich wieder geschehen: Ein ehemaliger Schüler (intelligent, aber nicht der einfachste) hat mich auf der Strasse erkannt und mich sogar mit Nachnamen angesprochen. Ich hätte ihn nicht wiedererkannt, sind inzwischen doch etwa zehn Jahre vergangen. Wir haben ein paar Minuten in alten Schulerinnerungen geschwelgt. Das sind dann die Hühnerhautmomente, von denen man als Lehrperson noch lange zehren kann.
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