Chaos am GP von SingapurFarce in der Formel 1: Erst um 2 Uhr morgens steht der Sieger fest
Sergio Pérez fährt im Stadtstaat als Erster ins Ziel, doch wegen eines Vergehens muss er lange zittern. Zum kleinen Desaster wird das Rennen für Teamkollege und Weltmeister Max Verstappen.

Manchmal wechselt der Renngott die Seiten. Gerade eben hat Red Bull ein Geschenk erhalten in diesem Grand Prix von Singapur. Von Ferrari, von wem auch sonst.
Der Regen hat sich verzogen aus dem Stadtstaat, die Piste trocknet allmählich ab, da ist etwas mehr als die Hälfte des Rennens um. Die Italiener starten einen Angriff auf den führenden Sergio Pérez. Charles Leclerc, der erste Verfolger des Mexikaners, bekommt an der Box Trockenreifen aufgezogen an seinem Ferrari. Es könnte der goldige, der siegbringende Entscheid sein. Doch Ferrari wäre nicht das Ferrari dieses Jahres, ginge sein Plan auf. Lange 5,3 Sekunden steht Leclerc in der Garage, ehe er wieder losfahren kann, Pérez bleibt nach seinem Wechsel ohne Probleme vorne und gewinnt seinen zweiten Grand Prix in diesem Jahr vor dem Monegassen und Carlos Sainz im zweiten Ferrari.
Allerdings braucht der 32-Jährige einige Nerven, bis der Triumph feststeht. Denn Pérez hat sich während zweier Safety-Car-Phasen als Führender hinter dem Sicherheitswagen weit zurückfallen lassen, worüber sich erst Lewis Hamilton und dann auch Leclerc enervierten. Lediglich zehn Auto-Längen dürfen zwischen dem Leader und dem Safety-Car liegen. Ob das überschritten wurde, untersuchten die Regelhüter der Formel 1 hinterher. Die Konkurrenz ging erst davon aus, dass der Mexikaner wegen zwei gleichen Vergehen belangt werden könnte. Allerdings untersuchte der Weltverband FIA nur eines – und sprach dafür eine 5-Sekunden-Strafe aus. Das reicht Pérez zum Triumph. 2 Uhr morgens ist es beinahe in Singapur, als das feststeht. Warum die Entscheidungsfindung so lange dauerte, dürfte das Geheimnis der Stewards bleiben.
Dass hinter dem Trio auf dem Podest nicht Max Verstappen folgte, sondern Lando Norris, hat eben auch mit dem wankelmütigen Renngott zu tun. Denn kaum hat auch der Niederländer frische Pneus geholt, rutscht Yuki Tsunoda in die Streckenbegrenzung. Er löst eine Safety-Car-Phase aus und ermöglicht Norris einen Stopp, der nicht mehr ansatzweise so viel Zeit kostet wie er es unter normalen Rennumständen getan hätte. So bleibt der Brite vor Verstappen.
Der Ausrutscher von Verstappen
Das missfällt dem überragenden Fahrer dieser Saison dann so sehr, dass er zu einem Überholmanöver ansetzt, das selbst unter besten Umständen kaum hätte funktionieren können. Mit rauchenden Pneus rutscht der 25-Jährige in die Auslaufzone, muss mit seinen abgefahrenen Reifen noch einmal an die Box und wird lediglich Siebter. Es dürfte Verstappen nerven, auch wenn im 17. von 22 Rennen erst die erste von noch vielen Möglichkeiten vertan ist, sich zum zweiten Mal zum Weltmeister zu krönen.
Schon der Start ist einer zum Vergessen für Verstappen. Erst kommt er auf seinem ungewöhnlichen achten Startplatz noch gut weg – doch dann bleibt sein Red Bull abrupt stehen. Der Motor ist abgestorben. Verstappen verliert vier Plätze, ist noch Zwölfter und hat die schier unmögliche Aufgabe vor sich, zur grossen Aufholjagd anzusetzen auf diesem ultraengen Kurs von Singapur.
Doch das Selbstvertrauen, das nur immer noch grösser wird bei Verstappen, treibt ihn auch in diesem Nachtspektakel zu kleinen Wunderdingen. Der 25-Jährige hat sich bis auf Rang 7 vorgekämpft, als er Fernando Alonso vor sich hat. Und der Altmeister, stattliche 16 Jahre älter als der amtierende Weltmeister, hat sich die Worte seines Alpine-Teams zu Herzen genommen. «Das ist dein 350. Grand Prix, mach etwas Spezielles daraus», haben sie dem Spanier zugefunkt vor diesem Rennen, mit dem er den Rekord von Kimi Räikkönen einstellt. Viele Runden hält Alonso Verstappen auf, ist auf dem Weg zu einem wahrhaft speziellen Jubiläumsrennen – ehe der Motor seinen Dienst verweigert und der Alpine stehen bleibt. Es ist eines von sechs Autos, das nicht über die Ziellinie gefahren ist, als dieses wegen Regens um eine Stunde nach hinten verschobene Rennen um 23.11 Uhr Ortszeit endet, weil die Maximaldauer abgelaufen war.
Latifi schiesst Zhou ab
Für einen der vielen Ausfälle sorgt ein Fahrer, der einmal mehr beweist, dass sein Team alles richtig macht, wenn es ihn im nächsten Jahr nicht weiterbeschäftigt. Runde 7 ist angebrochen, als Zhou Guanyu im Kampf der Hinterherfahrer zum Überholen auf Nicholas Latifi im Williams ansetzt. Ein Dutzendmanöver im Rennsport. Doch der Milliardärssohn, der in dieser Saison schon so manchen Piloten zur Weissglut trieb, denkt nicht daran, in den Rückspiegel zu schauen, lenkt nach links ein, wie er das halt immer tut vor dieser Rechtskurve, und drückt den Chinesen in die Absperrung.
Der Fahrer des Schweizer Alfa-Romeo-Teams schlägt ziemlich hart auf, ruckelt zwar noch zu einem der vielen Notausgänge des Kurses, der Safety-Car kommt dennoch zum Einsatz, um seinen Wagen sicher zu bergen. Latifi schafft es noch in die Box, das Rennen des Kanadiers ist gleichwohl zu Ende. Zhou reist damit in der Woche, in der er beim Rennstall aus dem Zürcher Oberland einen Vertrag für 2023 unterschrieben hat, ohne zusätzliche Punkte weiter nach Japan, wo am Sonntag der nächste Grand Prix stattfindet.
Bottas knapp an den Punkten vorbei
Einer der Nutzniesser der vielen Ausfälle scheint lange Zeit Zhous Teamkollege Valtteri Bottas zu sein. Doch als der Finne vom sich aufrappelnden Verstappen kurz vor Schluss noch überholt wird, bleibt ihm nur Rang 11. Damit ist sein aufregendster Moment derjenige, als George Russell im Mercedes früh im Rennen mit horrendem Tempo an ihm vorbeischiesst, weil er sich verschätzt hat, und den Frontflügel des Alfa Romeo touchiert.
Russell, der wegen eines Motorwechsels aus der Boxengasse gestartet ist, verpasst erst zum zweiten Mal in diesem Jahr die Top 5. Wegen eines platten Reifens, den er sich spät im Rennen holt. Aber auch, weil der Brite als Erster im Feld auf Trockenreifen wechselt und als Versuchskaninchen enorm viel Zeit verliert auf einer Strecke, die nur sehr langsam seine feuchten Stellen verliert. Doch als der hochtalentierte Jungfahrer mit seinen gelben Pneus in Runde 34 als Hinterster die absolut schnellste Runde fährt, löst er den grossen Andrang in der Boxengasse aus – und eine Schlussphase, die es in sich hat.
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