
Anna: Du.
Ivo: Ja?
Anna: Jetzt weiss ich endlich, was ich nach dem Studium machen möchte.
Ivo: Ach ja?
Anna: Ja. Ich will so schnell wie möglich Parlamentarierin werden.
Ivo: Parlamentarierin?
Anna: Ja.
Ivo: Du willst in die Politik? Du?
Anna: Wieso nicht?
Ivo: Du hast dich nie besonders für irgendwas Politisches interessiert.
Anna: Doch …
Ivo: Du gehst ja nicht mal mit mir zu den Klimademos. Und du wolltest immer in die Privatwirtschaft.
Anna: Ja eben.
Ivo: Wie eben?
Anna: Ich glaub, die Politik ist die neue Privatwirtschaft.
Ivo: Wie?
Anna: Ich habe mich erkundigt, Ivo. Wenn man im Nationalrat oder im Ständerat arbeitet, dann kann man nebenher sogar noch viele Mandate bei Unternehmen haben. Ich geb dir ein Beispiel. Kennst du den Ständerat Martin Schmid?
Ivo: Nein.
Anna: Siehst du, du hast keine Ahnung von Politik.
Ivo: Ich kenne nicht alle Parlamentarier.
Anna: Also, der Martin Schmid, der ist bei der FDP und Ständerat, aber neben seinem Politjob hat er fünfzehn Mandate bei Unternehmen. Er sitzt in Verwaltungsräten, Vorständen oder Beiräten von Firmen. Fünfzehn solcher Mandate, Ivo! Warum soll ich mühselig Karriere machen nur in einer Firma, wenn ich in fünfzehn Firmen mitmischen kann und mir dabei eine goldene Nase verdiene?
Ivo: Politiker verdienen sich keine goldene Nase, und die Mandate sind ehrenamtlich.
Anna: Eben nicht, Ivo! Das ist es ja. Für jedes einzelne Mandat wird Schmid fett bezahlt. Der ist im Verwaltungsrat der Engadiner Kraftwerke, von Swissgas, Repower AG, Elettricità Industriale, des Verbands der Schweizerischen Gasindustrie und so weiter und so fort. Was der Typ für eine Kohle einsackt, da wird mir schwindlig.
Ivo: Und was wollen die Firmen von ihm?
Anna: Na ja, keine Ahnung … Vielleicht muss er dann einfach für die Interessen der Firmen stimmen, zum Beispiel hat er jüngst im Ständerat dagegen gestimmt, dass der Staat die Betreiber von Wasserkraftanlagen nur dann unterstützt, wenn sie ihre Anlagen ökologisch sanieren. So macht man vermutlich heute Geschäfte!
Ivo: Aber das ist ja furchtbar. Das ist korrupt, irgendwie.
Anna: Aber es ist legal.
Ivo: Aber schrecklich.
Anna: Mann, jetzt mach nicht so auf Moral und Gutmensch.
Ivo: Ich will aber nicht von Leuten vertreten werden, die gekauft sind.
Anna: Wirst du aber schon lang, Ivo. Ruedi Noser von der FDP hat dreizehn bezahlte Mandate. Albert Rösti, SVP, hat unter anderem ein Mandat bei Swissoil, und er befasst sich natürlich gern mit der Mineralölsteuer. Ruth Humbel von der Mitte ist Co-Präsidentin der Parlamentarischen Gruppe Gesundheitspolitik und hat Mandate bei Krankenkassen und Rehakliniken. Und …
Ivo: Ist ja gut, ist ja gut.
Anna: Nenne es Milizsystem, nenne es Mischlersystem, nenne es Parlamentarier-Shopping, nenne es, wie du willst. Mir egal, Hauptsache, als Parlamentarierin habe ich attraktive Mandate.
Ivo: Aber wir sind doch die beste Demokratie der Welt!
Anna: Demokratie gibt es eben nicht umsonst.
Ivo: Und in welche Partei willst du?
Anna: Sicher nicht zu den Linken, da ist zu wenig zu holen.
Ivo: Du wirst aber ins Parlament gewählt, um das Volk zu vertreten und nicht die Firmen!
Anna: Doch, das Volk gibt mir ein Mandat, damit ich von den Firmen schöne Mandate kriege.
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Kolumne von Laura de Weck – Parlamentarier-Shopping
Milizsystem? Mischlersystem? Politik ist die neue Privatwirtschaft.