OK-Chef Gilli: «Wir müssen unsere Emotionen zügeln»
Gian Gilli äussert sich zur Absage der Eishockey-WM in der Schweiz. Der Bündner hofft auf eine Verschiebung auf 2021.

Sie haben schon viel erlebt im Sport, die aktuelle Situation ist aber selbst für Sie neu. Wie gehen Sie nun damit um, dass die Heim-WM wegen des Coronavirus abgesagt wurde?
Es ist himmeltraurig. Wir hatten so viel Energie und Leidenschaft in dieses Projekt gesteckt, über Jahre. Aber man man muss es auch relativieren. Ich sah kürzlich ein Foto aus einer Kirche in Bergamo mit 30 Särgen. Man muss sich die Auswirkungen dieser Pandemie vor Augen führen. Es gibt viel Schlimmeres als eine WM-Absage. Deshalb müssen wir diese Absage einfach akzeptieren und unsere Emotionen zügeln.
Was können Sie tun, um zu erwirken, dass die WM einfach um ein Jahr verschoben wird, also nächstes Jahr in der Schweiz stattfindet?
Das wäre natürlich unser Wunschszenario. Wir als Organisationskomitee können nur unseren Wunsch äussern, eine Neuansetzung für 2021 beantragen. Die Entscheidung liegt beim Weltverband IIHF. An uns ist es, die Machbarkeit auf der Basis des heutigen Projektstandes aufzuzeigen. Dieser ist so weit fortgeschritten, dass die organisatorische Machbarkeit aus unserer Sicht gegeben ist. Auch emotional betrachtet wäre es jammerschade, wenn wir so kurz vor dem Ziel die Aufbauarbeit über vier Jahre einfach verpuffen lassen müssten.
Gibt es schon Signale vom IIHF, was eine Verschiebung betrifft?
Nein, noch nicht. Dafür ist es zu früh. Die Abklärungen des IIHF laufen noch. Wir im OK arbeiten zurzeit an zwei Szenarien: das eine ist der definitive Abbruch, das andere die Verschiebung auf 2021. Diese zweigleisige Planung ist eine Herausforderung.
Wäre das Hallenstadion im nächsten Jahr verfügbar?
Alle grossen Infrastrukturen wären verfügbar.
«Wir würden alles daran setzen, dass die vielen Bereichsleiter, Spezialisten und Volunteers an Bord bleiben.»
Falls die WM 2021 stattfinden würde, wieweit könnten Sie auf den Vorarbeiten aufbauen?
Mit dem gleichen Konzept könnten wir praktisch eins zu eins auf die gleichen Infrastrukturen, Organisationskonzepte, Aufbauplanungen, Ticketing, Partnervereinbarungen und so weiter zurückgreifen. Sollte es so weit kommen, müssten wir die diversen Szenarien im Detail noch durchspielen. Zudem würden wir alles daran setzen, dass die vielen Bereichsleiter, Spezialisten und Volunteers an Bord bleiben für 2021.
Und Sie würden als OK-Präsident bleiben?
Wenn die WM um ein Jahr geschoben würde, wäre ich sicher wieder dabei. Aber sollte es einen Totalabbruch geben, das Turnier um mehrere Jahre geschoben würde, müsste ich mir überlegen, ob ich in dieser Funktion dabeibleiben würde.
Wieviele Tickets wurden verkauft? Für wieviel Geld?
Bis heute rund 300'000 Tickets im Wert von zirka 24 Millionen Franken.
«Wir gehen davon aus, dass die Tickets zurückerstattet werden. Aber wir bitten um etwas Geduld.»
Weltverbandspräsident René Fasel sagte, es sei das Ziel, die Tickets zurückzuerstatten. Ist das realistisch?
Viele Abklärungen sind am Laufen. Wir gehen heute davon aus, dass das möglich sein wird. Die genauen Rahmenbedingungen müssen jedoch noch geklärt werden. Dies braucht seine Zeit. Wir bitten die Ticketkäufer um etwas Geduld.
Wieviele Logiernächte wurden gebucht?
Wir als Organisation haben für Teams, Partner, OK und andere rund 21'000 Übernachtungen gebucht. Die Übernachtungszahlen für Gäste und Fans kennen wir Stand heute nicht.
Kommt man den Hotelgästen bei der Rückerstattung entgegen?
Mit den von uns gebuchten Hotels für Teams, Partner und Organisatoren sind wir in regem Austausch. Gäste, die selbstständig Übernachtungen gebucht haben, sollten wenn möglich ihre Reiseversicherung nutzen. Dies liegt ausserhalb unseres Zuständigkeitsbereichs.
Wie verfahren Sie mit den Sponsoren?
Wir werden nun mit jedem Vertragspartner, inklusive Sponsoren zeitnah zusammensitzen und auf der Basis der Verträge Lösungen finden.
Kann durch diese relativ frühe Absage Geld gespart werden?
Ja, definitiv. So lange wir noch keine offizielle Absage hatten, mussten wir weiter auf eine planmässige Durchführung hinarbeiten, obwohl die vom Bund verfügten Massnahmen die intensive Vorbereitung auf das Event extrem erschwerten und teilweise gar verunmöglichten.
Wieviele Mannstunden bisher investiert in das Projekt WM 2020?
Aufgrund der vielen ehrenamtlichen Mitarbeiter ist diese Zahl nicht zu quantifizieren.
Wie gross waren die Kosten?
Das können wir heute auch nicht beziffern, wir müssen zuerst mit allen Partnern und Auftragnehmern, die ja auch vieles schon produziert haben, diese Ausnahmesituation besprechen. Erst nach Einigungen mit den Partnern sind die Kosten abschätzbar. Auch dies wird einige Zeit in Anspruch nehmen.
Werden die von der Versicherung übernommen?
Es ist zu früh, hier Konkretes aussagen zu können. Wir benötigen sicher noch einige Wochen Zeit, um all die Fälle zu diskutieren und abzuarbeiten. Grundsätzlich sind wir aber versichert.
«Ich darf gar nicht daran denken, was wir an Erlebnissen, Emotionen und hochklassigem Sport verpassen.»
Kann man den Schaden für den Standort Schweiz bemessen?
Der ganzheitliche Schaden ist sportlich für das nationale und internationale Eishockey, ökonomisch für die Standorte Zürich und Lausanne und imagemässig für die Schweiz enorm. Ich darf gar nicht daran denken, was wir mit der Absage an Erlebnissen, Emotionen, Freude, internationalen Begegnungen und hochklassigem Sport verpassen. Und doch wollen wir relativieren: Es gibt in dieser aussergewöhnlichen Situation viele Schicksale, die noch von einer ganz anderen Tragweite sind. Daher ist die Absage die logische Konsequenz.
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Der Tamedia-Hockey-Podcast «Eisbrecher»
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