Nur noch einen Fünfliber pro Tag fürs Essen?
Die Skos warnt vor geplanten Kürzungen bei der Sozialhilfe – und hat berechnet, was es für einen minimalen Lebensstandard braucht.

Wie viel Geld sollen Sozialhilfebeziehende erhalten? Über diese Frage wird in der Schweiz heftig gestritten. Denn die Kosten des Sozialhilfesystems steigen stetig. In einigen Kantonen wird deshalb über eine drastische Kürzung der Beiträge von bis zu 30 Prozent diskutiert (Dazu unser Kommentar).
Im Jahr 2017 bezogen über 54'000 Menschen im Alter zwischen 50 und 65 Sozialhilfe, 40 Prozent mehr als noch 2011. Dabei handelt es sich oft um Arbeitnehmer, die von Firmen ausgemustert und von niemandem mehr angestellt werden. Neben älteren Menschen sind Kinder, Geschiedene und Ausländer am häufigsten auf Sozialhilfe angewiesen (Hier ein Beispiel: Suzana K erzählt im Video, wie sie fast 20 Jahre von der Sozialhilfe lebte).
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Die Sozialhilfe umfasst die Wohnkosten, die Kosten für die medizinische Grundversorgung und den Grundbedarf, der die Ausgaben für Lebensmittel, Bekleidung, Mobilität und anderes deckt. Rund 3 Prozent waren in den letzten Jahren darauf angewiesen, die Quote blieb stabil. Weil aber die Bevölkerung wächst, nimmt die Zahl der Bezüger kontinuierlich zu. In den Kantonen Aargau, Baselland und Bern laufen deshalb Bestrebungen, den Grundbedarf zu senken.
Davor warnt die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (Skos) eindringlich. Um Gegensteuer zu geben, hat sie eine Analyse in Auftrag gegeben. Diese kommt zum Schluss: Schon der aktuell geltende Grundbedarf reicht nur knapp aus, um eine menschenwürdige Existenz zu sichern. Heute erhält eine Einzelperson 986 Franken im Monat beziehungsweise etwa 32 Franken am Tag. Die einkommensschwächsten 10 Prozent der Schweizer Haushalte geben laut der Studie allerdings monatlich 1082 Franken pro Person für lebensnotwendige Güter und Dienstleistungen aus.
«Davon kann man sich nicht mehr ausreichend und gesund ernähren.»
Die Skos hält Abstriche deshalb für nicht begründbar und verantwortungslos. «Bei einer Kürzung des heutigen Grundbedarfs um 8 Prozent stehen in einer vierköpfigen Familie pro Tag und Person noch 7 Franken für Lebensmittel und Genussmittel zur Verfügung, bei einer Kürzung um 30 Prozent sogar nur noch 5 Franken», rechnet Felix Wolffers, Co-Präsident der Skos, vor. «Davon kann man sich nicht mehr ausreichend und gesund ernähren.» Heute hat ein Sozialhilfebezüger knapp 12 Franken am Tag für Essen.
Wofür der als Pauschalbetrag ausbezahlte Grundbedarf ausgegeben wird, kann zwar jede unterstützte Person selbst entscheiden. Die Skos hat aber berechnet, dass Sozialhilfebezüger mit Abstand am meisten für Nahrungsmittel, Getränke und Tabakwaren ausgeben. Mehr als ein Drittel des Gesamtbetrags von 986 Franken werden in der Regel dafür aufgewandt, mit zunehmender Haushaltsgrösse ist der Anteil noch höher. Auch die Nachrichtenübermittlung (Internet, Radio, TV) sowie Freizeit, Sport, Unterhaltung und Bildung kosten viel. Zudem werden laut der Studie die realen Kosten für den öffentlichen Verkehr deutlich unterschätzt, auf den Personen in der Sozialhilfe oft angewiesen sind, weil sie generell über kein eigenes Auto verfügen.
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Viele Kosten, welche aus dem Grundbedarf finanziert werden müssen, sind nicht beeinflussbar, etwa die Aufwendungen für Strom, Telefon und die Radio- und TV-Gebühren. Kürzungen wirken sich deshalb überproportional auf die noch verfügbaren Beträge für Lebensmittel und Bekleidung aus.
Inadäquate Kleidung verstärkt laut der Skos den gesellschaftlichen Ausschluss und die Stigmatisierung. Mangelnde Mobilität und fehlender Internetzugang wirken sich kontraproduktiv auf die Jobsuche aus. Ausserdem besteht eine grössere Gefahr der Überschuldung, die den Ausstieg aus der Armut und der Sozialhilfeabhängigkeit erschwert. Wie Steuern, zu bezahlende Alimente oder zu hohe Mieten sind Schulden nicht über das Sozialhilfebudget gedeckt.
«Unter Kürzungen leiden insbesondere die mitbetroffenen Kinder.»
30 Prozent der Fürsorgeabhängigen sind inzwischen Minderjährige. «Unter Kürzungen leiden insbesondere auch die mitbetroffenen Kinder», warnt deshalb Therese Frösch, Co-Präsidentin der Skos. Denn finanzielle Einschränkungen könnten zu längerfristigen Beeinträchtigungen und Gesundheitsproblemen führen, beispielsweise als Folge ungesunder Ernährung.
Um dies zu verhindern, empfiehlt die Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren per Anfang 2020 eine teuerungsbedingte Anpassung auf 997 Franken. Seit 2013 hat sich der Grundbedarf nicht mehr verändert, über die letzten 20 Jahre gesehen wurde er sogar gesenkt.
1998 wurde der Grundbedarf in der Sozialhilfe erstmals als Pauschale definiert und für einen Einpersonenhaushalt auf 1110 Franken festgesetzt. Die Pauschale orientierte sich an den Ausgaben der einkommensschwächsten 20 Prozent der Haushalte. 2003 erfolgte eine Teuerungsanpassung auf 1130 Franken. Als zwei Jahre später Integrationszulagen (IZU) und Einkommensfreibeträge (EFZ) eingeführt wurden, sank der Grundbedarf aber auf 960 Franken. Neu wurden nur noch die Ausgaben der einkommensschwächsten 10 Prozent der Haushalte als Referenzgrösse verwendet. 2011 und 2013 erfolgten zwei Anpassungen an die Teuerung auf die aktuell geltenden 986 Franken.
Das ist aber immer noch deutlich weniger als der Grundbedarf bei den Ergänzungsleistungen zur AHV/IV (1621 Franken) oder dem betreibungsrechtlichen Existenzminimum (1200 Franken). Trotzdem wollen manche Kantone den Grundbedarf in der Sozialhilfe wieder senken. Im Kanton Bern stimmt die Bevölkerung voraussichtlich im Mai 2019 über eine Gesetzesrevision ab, die eine 8–30 prozentige Kürzung vorsieht. Das Aargauer Parlament hat zwei Postulate angenommen, die eine 30-Prozent-Kürzung beziehungsweise eine Koppelung der Sozialhilfe an AHV-Beiträge und Steuern vorsehen. Und das Parlament des Kantons Basel-Landschaft hat ebenfalls eine Motion angenommen, die eine Kürzung der Sozialhilfe um 30 Prozent vorsieht.
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