
Nun ist also Heiliger Abend, während ich erschöpft im Homeoffice sitze und rätsle, ob Omikron nun das Endspiel der Pandemie ist oder ein weiterer Auftakt. Ausgelaugt von Nachrichten, Quarantäne und Ängsten wünsche ich mir einen Harry-Potter-Zauberspruch, mit dem ich mich an einen anderen Ort versetzen könnte. Oder wenigstens eine Märchenfee, die das wundersame Happy End der Geschichte mit einschläfernder Stimme erzählen würde. Notfalls könnte ich mich auch mit Spacex ins Weltall schiessen lassen, und sonst warte ich auf das Metaversum in der virtuellen Welt.
Weihnachten holt mich dagegen auf den Erdboden des richtigen Lebens zurück. Mich fasziniert, wie schonungslos ehrlich die Geschichten von der Ankunft eines neuen Lebens in den Evangelien sind. Neues Leben ist da immer mit dem Tod verbunden. Da wird nichts beschönigt oder per Zauberstab gewendet. Das Kind in der Krippe wird im nächsten Moment bedroht von seiner Auslöschung. Der kleine König der Könige ist zunächst einmal als Flüchtling unterwegs in Wüste und Dunkelheit. Und das Weizenkorn – so die Geschichte, die das im Stall geborene Kind später erzählen wird – muss zuerst in den Boden, beerdigt werden und sterben, bevor es wächst und zur Nahrung wird.
Der Heilige Abend ist für mich dieser Tage eine Erinnerung daran: Mein Leben ist eingebettet und umfangen von Wüste und Tod. Das Leben in einer Pandemie bringt Gefühle der Bedrohung und Angst. Es ist ein langer Weg, zu dem das Leiden und der Tod gehören.
Die Geschichten der Heiligen Nächte erzählen aber genauso nachvollziehbar und glaubwürdig, dass jedes Leben untrennbar verbunden ist mit der befreienden Lebenskraft Gottes. Das ist oft nicht direkt spürbar. Oder hätten Maria und Josef im kalten Stall während der Geburtswehen, umgeben von Vieh, an den Rand der Stadt gedrängt, vergessen und verloren, jemals daran geglaubt, dass ausgerechnet dieser Moment später einmal gefeiert wird als der Ort, wo Gott dem Menschen begegnet? Oder hätte Joseph jemals gedacht, dass die beängstigende Flucht und sein früh zum Flüchtling gewordenes Kind eines Tages zur Hoffnung für viele werden?
Die Aussicht auf eine weitere Pandemiephase im Homeoffice, in Isolation und Quarantäne, in ständiger Angst vor einem unsichtbaren Virus fühlt sich schlecht an. Weihnachten ist für mich in dieser Situation wie ein Knoten im Taschentuch. Dieser erinnert mich daran, dass die Zeit in der Wüste und in der Dunkelheit immer verknüpft ist mit neuem Leben. Schon in den Weihnachtserzählungen passiert in dunkelster Nacht, was zum Leben verhilft. Es geht um die Fragen, wer wir sind und was wir sein wollen. Es geht darum, was dem Leben dient und was nicht. Jeder Einzelne und die Gesellschaft müssen die Frage beantworten lernen, wie wichtig Gemeinschaft ist, wie stark wir miteinander verbunden sind und wie wir füreinander sorgen können. Wie kämpfen wir gegen Ungerechtigkeit, gegen Egoismus? Wie richten wir unsere Kraft darauf, allen zum Leben zu verhelfen und nicht nur den Stärksten?
So führt der Heilige Abend direkt in zutiefst spirituelle Fragen. Denn vor der Krippe im kalten, dunklen Stall lerne ich: Wenn ich lebendig sein will, bin ich immer mit dem Tod verbunden. Aber es gilt genauso das andere: Es gibt keinen Schritt in Dunkelheit und Schmerz, ohne dass etwas Neues in mir geboren werden wird.
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Gedanken zu Weihnachten – Neues wird geboren
Ein Knoten im Taschentuch kann positive Gedanken auslösen, sinniert Pfarrer Thomas Schaufelberger aus Stäfa in seinem Beitrag zu den Festtagen.