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Monsieur Pragmatismus

20 Jahre danach: Didier Deschamps hat seinen zweiten WM-Pokal vor Augen.
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Es ist nicht ganz ausgeschlossen, dass Frankreichs Nationaltrainer Didier Deschamps fein lächelte, als ihm die Reaktionen der belgischen Fussballer übermittelt wurden. Nach der 0:1-Niederlage gegen Frankreich im WM-Halbfinal am Dienstagabend in St. Petersburg beschwerten sich diese über die Spielweise des Gegners.

Von einer «Schande für den Fussball» sprach Goalie Thibaut Courtois und von «Anti-Fussball». Teamkollege Eden Hazard meinte, er würde lieber mit dem belgischen Team verlieren als mit dieser französischen Mannschaft gewinnen. «Sie wartete nur ab», sagte Hazard.

Frankreich folgt dem Trend

Die Belgier müssen nun am Samstag das Spiel um Platz 3 bestreiten, Frankreich greift einen Tag später in Moskau gegen Kroatien nach dem WM-Titel. Man könnte nun schreiben, der Zweck heilige die Mittel und der Sieger habe immer recht. Doch das würde zu kurz greifen. Es gibt ja einige Trends an dieser WM; so fallen viele Tore nach Standardsituationen und in der Schlussphase, oft treffen Verteidiger, meistens mit einem Kopfball – und jene Mannschaft mit mehr Ballbesitz verliert erstaunlich regelmässig.

Umitits Siegtreffer gegen Belgien. (Video: SRF)

So gesehen, war der Siegtreffer der Franzosen sehr sinnbildlich für dieses Turnier, Verteidiger Samuel Umtiti traf nach einem Eckball mit dem Kopf. Und die Belgier vermochten aus ihrer deutlichen Ballbesitzüberlegenheit vor allem in der zweiten Halbzeit wenig anzufangen. Sie rannten planlos an und ärgerten sich über die Franzosen, die Zeit von der Uhr nahmen und den Vorsprung relativ souverän verteidigten.

Zu passiv an der Euro 2016

Ein Belgier ordnete das alles sachlich ein. Kevin de Bruyne meinte, Frankreich habe sich clever angestellt. Und: «Wir hätten das auch so gemacht in der Schlussphase.» Wie im Viertelfinal gegen die Brasilianer übrigens, die zwar im Gegensatz zu den Belgiern im Halbfinal Struktur und Matchplan nicht verloren hatten, aber das Spiel 1:2.

Im Final stehen nicht die Brasilianer und nicht die Belgier, es sind die Franzosen, die sich in der hochkarätig besetzten Tableauhälfte durchsetzten. «Das war ein grosser Sieg eines grossen Teams», sagte Deschamps nach dem 1:0 gegen Belgien. «Wir haben viele richtige Entscheidungen getroffen und verdient gewonnen.» Und so platzte der Traum dieser starken belgischen Spielergeneration von einem Titelgewinn auch an der WM 2018.

Deschamps hatte einst ebenfalls einer sogenannt goldenen Generation angehört, das ist zwei Jahrzehnte her. Er wurde 1998 Weltmeister und 2000 Europameister, als defensiver Mittelfeldspieler lief er die Räume zu, hielt den Künstlern wie Zinédine Zidane und Thierry Henry den Rücken frei, erledigte die vielen kleinen Dinge im Zentrum des Geschehens mit Aufmerksamkeit, Spielintelligenz und Disziplin. Er war, um es mit den derben Worten von Thibaut Courtois zu sagen, vielleicht ein Anti-Fussballer, ein Zerstörer auch, ohne Glanz. Einer aber vor allem, der genau wusste, um was es im Fussball geht.

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Deschamps Stationen als Spieler und als Trainer:

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Im Sommer 2012 übernahm Deschamps als Nachfolger von Laurent Blanc die Nationalmannschaft Frankreichs, die er an der WM 2018 bis in den WM-Final führte.
Sein Karriere begann der heutige Nationaltrainer Frankreichs Didier Deschamps 1985 beim FC Nantes.
Die Saison 90/91 spielte Deschamps auf Leihbasis für Girondons Bordeaux.

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Deshalb ist Didier Deschamps auch ein erfolgreicher Teamarchitekt. Seit sechs Jahren dirigiert er Les Bleus, unumstritten war er in der Heimat nie, zu unattraktiv spiele die Auswahl, zu bieder, zu statisch, hiess es. 2014 unterlagen die Franzosen an der WM 0:1 im Viertelfinal gegen Deutschland, mit Mats Hummels traf ein Abwehrspieler nach einem Freistoss mit dem Kopf.

Vor zwei Jahren an der Heim-EM brillierte Deschamps Team erneut nicht, es agierte oft passiv, aber es erreichte den Final und verlor unglücklich gegen Portugal 0:1 nach Verlängerung. Und nun also steht Frankreich erneut im Endspiel. «Wir haben uns an der WM ständig gesteigert», sagt Deschamps, «das ist ein gutes Zeichen.»

Lieber 1:0 als 4:3

Durch die Vorrunde knorzten sich die Franzosen noch: ein mühsames 2:1 gegen Australien, ein unansehnliches 1:0 gegen Peru, ein dünnes 0:0 gegen Dänemark. Im Startspiel hatte Deschamps ungewohnt stürmisch aufgestellt, bald aber baute er die kräftigen, defensiv wertvollen Olivier Giroud und Blaise Matuidi in der Offensive ein. Frankreich ist seither eine idealtypische Deschamps-Mannschaft. Schnörkellos, pragmatisch, effizient.

Ein Tor ganz nach Deschamps' Geschmack: Varane trifft per Kopf. (Video: SRF)

Beim 4:3 gegen Argentinien im Achtelfinal fielen eher zufällig so viele Treffer, es war eine Begegnung nicht nach dem Geschmack Deschamps, der die Kontrolle über das Geschehen auch als Trainer nicht verlieren will. Er gewinnt, um im Thema zu bleiben, lieber 1:0 als 4:3. Im Notfall ganz profan mit einem Verteidigerkopftor nach einer Ecke.

«Es ist Zeit eine neue Geschichte zu schreiben»

Insbesondere an Turnieren mit K.-o.-Spielen ist das keineswegs eine schlechte Haltung. Mitte Oktober wird Deschamps 50 Jahre alt – er sieht älter aus – und bereits in drei Tagen kann er in Moskau zu einem der Grössten im Weltfussball überhaupt aufsteigen. Nur Franz Beckenbauer mit Deutschland und Mario Zagallo mit Brasilien wurden bisher als Spieler und als Trainer Weltmeister.

Deschamps ist in diesen Tagen sehr bestrebt, nicht zu ausführlich über die Weltmeistermannschaft 1998 sprechen zu müssen. «Das ist lange her, viele unserer Spieler haben diesen Titel nicht bewusst miterlebt und nur Bilder davon gesehen.» Es sei an der Zeit, eine neue Geschichte zu schreiben. Eine Geschichte übrigens, die am Sonntag noch lange nicht zu Ende sein muss. Frankreichs Team ist äusserst jung, und es rücken viele weitere Toptalente nach. Deschamps würden die Ziele auch bei einem Titelgewinn nicht ausgehen. Weltmeister und Europameister als Spieler und als Trainer ist noch keiner geworden.

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Der französische Finaleinzug in der Presseschau:

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«Frankreich zerstört den belgischen Traum auf grässliche Weise»Die «Tribune de Genève» verwendet dramatische Worte, hält aber auch fest, dass die Vorstellung der Franzosen stark gewesen sei.
«Les Beautiful Game!»Der britische «Daily Mail» hat nicht übersehen, dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Zeuge des Halbfinalsieges der Equipe tricolore gegen Belgien im Stadion war. Der König und die Königin waren über den Ausgang der Partie weniger begeistert.
«Liberté, Egalité, Finalé»Das deutsche Medium n-tv blickt auf die französische Geschichte zurück und findet, dass «Frankreich das Zeug zum Champion hat».