Neue PolizeikommandantinMit Verbrechern kennt sie sich aus
Sylvie Bula wird die erste Frau an der Spitze der Waadtländer Kantonspolizei. Die bisherige Leiterin des Strafvollzugs ist krisenerprobt.

Die Frage ist offenbar immer noch unvermeidlich: Hat Sylvie Bula bei ihrer Ernennung zur Chefin der Waadtländer Kantonspolizei vom Frauenbonus profitiert? «Das ist eine Frage, die sich nicht mehr stellen sollte», antwortete – mehr als nur leicht indigniert – Sicherheitsdirektorin Béatrice Métraux einem Journalisten der Tageszeitung «24 heures». Die grüne Politikerin ergänzte trocken: «Der Staatsrat hat sich für Frau Bula entschieden, weil sie über die besten Kompetenzen verfügt.»

Das, allerdings, war das einzige Nebengeräusch beim Aufstieg der 44-jährigen Sylvie Bula zur ersten Frau an der Spitze des Waadtländer Polizeikorps. Vor zehn Jahren war es ganz anders gewesen: Damals wurde Bula unter politischem Getöse zur Chefin der Waadtländer Gefängnisse ernannt.
Diese standen damals in einem miserablen Ruf. Ein Insasse der Strafanstalt Bochuz hatte kurz zuvor seine Zelle in Brand gesteckt und war erstickt. Es dauerte 90 Minuten, bis sich die Wärter entschlossen einzugreifen.
«Wie in einem Entwicklungsland»
Die Untersuchungsakten zu den Vorfällen «lesen sich wie ein Bericht aus einem Entwicklungsland», stellte die NZZ damals fest: Die Waadtländer Gefängnisse seien überfüllt, es gebe zu wenig Personal, und dieses sei auch noch mangelhaft ausgebildet. Dazu kam eine «an Absurdität grenzende Vorschriftshörigkeit» der Wärter, «aus Angst, entlassen zu werden». Das alles habe zum «sinnlosen Tod» des Insassen geführt.
Die damalige Leiterin des Waadtländer Strafvollzugs wurde entlassen. Gegen den Interimschef, einen hohen Armeeoffizier, wurden Vorwürfe laut, er gebärde sich allzu militärisch. Unter politischem Druck entschied sich dann der Staatsrat, einer 34-jährigen Frau ohne Erfahrung im Strafvollzug den Job zu geben.
Finanzfachfrau im Strafvollzug
Sylvie Bula stammt aus Curtilles, einem 300-Seelen-Dorf im ländlichen Bezirk Broye-Vully in der Waadt. Sie studierte an der Universität Lausanne Betriebswirtschaft. Dann arbeitete sie als Rechnungsprüferin bei Consultingfirmen. Immerhin kannte sie als externe Beraterin die Finanzen des Waadtländer Amts für Strafvollzug im Detail.
Als dessen neue Chefin musste Bula einen Kulturwandel einleiten, politisch für mehr Mittel lobbyieren und neue Gefängnisplätze schaffen. Bei ihrem Amtsantritt aber stellte sie etwas ganz anderes ins Zentrum: «Der Strafvollzug muss die Integrität aller Menschen im Gefängnis respektieren, diejenige der Insassen genauso wie diejenige der Angestellten.»
In den zehn Jahren seither hat Bula, neben vielem anderem, ein Pilotprojekt für «restaurative Justiz» aufgegleist. Dabei treffen sich Kriminelle im Gefängnis mit Opfern zum Gespräch. Das Ziel: Bei den Straftätern ein Bewusstsein für die Folgen ihres Handelns erzeugen. Die Opfer umgekehrt sollen spüren, dass sie gehört und anerkannt werden.
Personalbestand verdoppelt
Schwieriger, aber für den Strafvollzug noch dringlicher war, dass Bula in ihrer Amtszeit gegen die Überfüllung der Gefängnisse ganz konkret vorging. In Orbe wird gegenwärtig eine neue Strafanstalt mit 410 Plätzen gebaut. Der Personalbestand in den Gefängnissen hat sich fast verdoppelt.
In die Schlagzeilen geriet Bula jedoch natürlich vielmehr wegen der Krisen, in die der Strafvollzug auch unter ihrer Leitung geriet. Es gab unter anderem gleich zwei spektakuläre Massenausbrüche aus den Gefängnissen Bois-Mermet und Bochuz. Daran sollen Mitglieder der Verbrecherbande «Pink Panther» beteiligt gewesen sein.

Nun nimmt Sylvie Bula ihre Erfahrung aus den Gefängnissen zur Waadtländer Kantonspolizei mit. Nach Monica Bonfanti als Chefin der Genfer Polizei und Nicoletta della Valle als Chefin der Bundespolizei Fedpol ist Bula die dritte Frau an der Spitze eines grossen Polizeikorps.
Statt zuletzt im Amt für Strafvollzug 750 unterstehen der neuen Kommandantin Bula bei der Waadtländer Polizei neu 1300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Möglichst viele von ihnen will sie als Erstes persönlich kennen lernen. Das neue Amt, sagt sie vorsichtig-unverbindlich, sei «eine sehr schöne Herausforderung».
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