Mit den Satelliten kamen und gingen die Quadratmeter
Mehr als 100 Jahre hielt sich manche Gemeinde für grösser, als sie ist. Der Bezugsrahmenwechsel hat dies nun ans Licht gebracht. Hinter dem sperrigen Begriff verbirgt sich die Landesvermessung nach modernsten Methoden.

Sie wollten schon immer Ihren Flusspferden, die Sie in Kilchberg halten, ein Bassin gönnen? Oder Sie, werter Leser aus Kaltbrunn, sich den Traum eines eigenen Eisbären erfüllen? Aber es hat Ihnen an Platz gefehlt? Leider müssen Sie nun Ihre Wünsche für immer begraben. Warum? Weil sowohl Kilchberg wie auch Kaltbrunn geschrumpft sind. Um jeweils die Fläche, welche die Anlagen für Eisbär und Flusspferd gemäss eidgenössischer Tierschutzverordnung bräuchten.
Grund des Schrumpfens ist die Neue Landesvermessung (LV 95), welche die bisherige von 1903 ersetzt. Das Grossprojekt, in dessen Rahmen alle Schweizer Gemeinden neu vermessen wurden, hat bereits 1989 begonnen. Dabei gingen die Fachleute mit modernsten, satellitengestützten Methoden vor.
Ein Netz aus 200 neu vermessenen Punkten gelte als neuer Bezugsrahmen – und sei um den Faktor 100 genauer als dasjenige von 1903, erklärt Urs Wild vom Bundesamt für Landestopografie. Weitere aufwendige Schritte beschäftigten die Geometer in dieser Sache während der vergangenen Jahre. Im Sommer hat der Kanton Zürich seine Auswertungen veröffentlicht; der Kanton St. Gallen folgte nun kurz vor Jahresende.
Stäfa ist geschrumpft
Dass durch den Bezugsrahmenwechsel in Kilchberg der Platz in der Grösse eines Nilpferdbeckens fehlen wird, ist verkraftbar – handelt es sich doch um nur 30 Quadratmeter. Spitzenreiter im Bezirk Horgen mit verlorener Landfläche ist Langnau; mit 122 Quadratmetern weniger muss es sich begnügen – fast so wie Kaltbrunn, das 127 Quadratmeter verliert. Noch mehr geschrumpft sind Amden und Stäfa: 212 respektive 236 Quadratmeter zwackt der Bezugsrahmenwechsel ihnen ab.
Diese Gemeinden widerspiegeln, was auf Ebene der Bezirke Horgen und Meilen sowie der Kantone Zürich und St. Gallen geschehen ist: Sie sind kleiner geworden. Landgewinner gibt es zwar auch. Horgen und Schmerikon etwa mit zusätzlichen 131 respektive 104 Quadratmetern und – etwas abgeschlagen – Uetikon. Die Gemeinde mit «einziger Kunsteisbahn zwischen Küsnacht und Rapperswil» – so die einschlägige Internetseite – könnte immerhin bald um ein weiteres Unikat reicher sein: ein 50-Meter-Schwimmbecken mit einer einzigen Bahn. So etwa liessen sich die neuen 52 Quadratmeter verwenden.
Gewinnerin ist auch die Schweiz im Gesamten: Um 42 Fussballfelder ist sie gewachsen. Ein Viertel dieser 30 Hektaren geht an das Tessin, wie es in der Mitteilung der Staatskanzlei St. Gallen heisst. Ein Trost für alle, denen die neu vermessene Gemeinde zu eng wird: Ins vergrösserte Tessin auszuweichen, ist ja auch nicht schlecht.
Nur formelle Änderung
Freilich sind das nur Gedankenspielereien. Der neue Bezugsrahmen nimmt den Gemeinden weder Land weg, noch schenkt er ihnen welches. Die Flächenänderungen sind rein formell; Gemeinde- und Grundstücksgrenzen verschieben sich nicht. Die Änderungen würden auch nicht jeweils geballt in einer Gemeinde liegen, sondern seien verteilt auf mehrere Parzellen, sagt Johannes Cutka von der Abteilung Geoinformation der Zürcher Baudirektion. Dementsprechend fallen sie noch weniger auf.
«Grundstückbesitzer informieren wir bei Abweichungen ihrer Landfläche um mindestens einen Quadratmeter», erklärt Cutka. De facto wird aber für sie durch den Bezugsrahmenwechsel nicht viel anders, wie auch die Bürger sonst kaum davon betroffen sind – ausser, wer sich von Berufs wegen mit Vermessungen beschäftigt. Entsprechend der minimen Änderungen reagieren die Gemeindeschreiber und -präsidenten gelassen auf die neuen Tatsachen – sofern sie überhaupt darüber im Bilde sind.
«Der Verlust von 236 Quadratmetern betrifft wohl nur den Hasen, der jetzt mehr auf Hombrechtiker Gebiet herumhoppelt», meint etwa der Stäfner Gemeindeschreiber Daniel Scheidegger.
Und so hätte auch ein Gehege für Nilpferde in Kilchberg oder für Eisbären in Kaltbrunn gleich viel oder wenig Platz – und dürfte unrealistisch sein wie zuvor. Das aber aus anderen Gründen.
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