Mein kluger kleiner Bruder
Am Samstag ist der Richterswiler Historiker, Buchautor, TV-Mitarbeiter und Sänger Hans Peter Treichler gestorben. Eine Würdigung seines Bruders, der stets stolz war, sein Bruder zu sein.

Oft, wenn ich mich mit Robert Treichler vorstellte, fragten die Leute: «Sind Sie verwandt mit dem Historiker?» Und ich antwortete stets stolz: «Ja, er ist mein Bruder.» Die meisten dachten, er müsse mein grösserer Bruder sein, wenn er doch so gebildet, so belesen und so vielseitig ist. Aber er war drei Jahre jünger.Hans Peter oder Hampi, wie er genannt wurde, war schon in unserer Jugend der Kluge. Er schaffte Wälzer wie «Moby Dick» oder «Lederstrumpf», für die ich zu wenig Geduld aufbrachte.
Unsere liebste Freizeitaktivität war das Schtriele. Dafür eignete sich das Zürcher Quartier Hirslanden, wo wir aufwuchsen, prima. Unser Reich ging vom Elephantenbach und Wehrenbachtobel bis ans Zürichhorn. Unsere Mutter war berufstätig und alleinerziehend. Sie instruierte uns jeweils, wie wir das Essen zubereiten mussten. Aus irgendeinem Grund ist mir der Zettel erhalten geblieben, auf dem Hans Peter notiert hat, wie man Würstchen zubereitet. «Wienerli kochen, bis sie platzen», steht da. Das hinderte ihn nicht daran, ein hervorragender Koch zu werden.
Eine andere Lieblingsbeschäftigung war für uns das Kino. Kinderfilme gab es ausser den Disney-Trickfilmen kaum. Wir schmuggelten uns daher in Filme, deren Altersgrenze bei 18 Jahren war. Wieder war es Hans Peter, der an der Kasse die Billette verlangte, denn er hatte die tiefere Stimme.
Als der Rock 'n' Roll aufkam, Anfang der 50er-Jahre, war das unsere Musik. Zu zweit spielten wir Gitarre. Wir versuchten den Gesang von Elvis Presley zu verstehen, was selten gelang, so sangen wir nach Gehör. Dasselbe machten wir mit den Liedern von Georges Brassens.
An der Uni Zürich schloss Hans Peter 1966 mit dem Dr. phil. I ab. Es war sein Ziel gewesen, den Doktortitel vor dem Alter 25 zu machen – er liess sich aber nie mit dem akademischen Titel anreden. Sein Hauptfach war Geschichte, seine Nebenfächer waren Deutsch und Schwedisch.
Seine ersten Bücher waren geschichtliche Werke. «Die Gründung der Gegenwart» etwa, ein programmatischer Titel, denn dem Zeitalter der Industrialisierung, der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, galt sein Hauptinteresse. «Die stillen Revolutionen» war ein anderer Titel; das Buch beschreibt das Leben der kleinen Leute. Er verfasste aber auch Werke wie die Familiensaga um «Die Löwenbraut», das dank dem Mäzen Hans Georg Schulthess aus Horgen zustande kam.
Eine Fundgrube für sein musikalisches Schaffen war die Schweizer Folklore – Volkslieder, Landsknechtlieder, Trinklieder, aber auch der Minnegesang des deutschen Mittelalters. Ein gutes Dutzend LPs entstanden, auch eine Schallplatte, die eigene Lieder enthält («Ich glaub, si hät Renate gheisse»).
Kein Wunder, dass Hampi bald beim Radio gelandet ist. Er moderierte lange die Morgensendung und war der erste Moderator der Schweizer Hitparade von DRS 1. Das Radio war es auch, für das Treichler mehr als zehn Hörspiele schrieb. Ein Erfolg wurde «Tell total» – die Geschichte des Armbrustschützen mal anders erzählt. Nicht weit ist es vom Radio zum Fernsehen. Treichler erhielt eine eigene Sendung, «Fyrabig», die später durch Sepp Trütsch übernommen wurde. Bekannt wurde Treichler in den letzten Jahren als wissenschaftlicher Kommentator bei sommerlichen Sendereihen wie jene über die Spinnereien im Tösstal in «Anno 1914 – Die Fabrik». Als wissenschaftlicher Mitarbeiter kuratierte er aber beispielsweise auch Ausstellungen des Schweizer Landesmuseums.
Mit seiner Frau, Simone Quinche, zog Hans Peter 1979 von Zürich nach Richterswil. Zunächst wohnten sie im Lindenhof, einem Anwesen im Landhausstil. 1980 wurde ihnen ein Sohn geboren, Philipp, 1986 kam eine Tochter zur Welt, Silvana. 1995 erfolgte der Umzug der Familie Treichler Quinche ins eigene Haus im Hirtenstall.
Hans Peter Treichler ist Verfasser mehrerer Ortschroniken, etwa jener von Wiesendangen oder von Rapperswil (vor der Fusion mit Jona). Sehr stolz war er, dass er von der Gemeinde den Auftrag erhielt, die Ortschronik zur 750-Jahr-Feier Richterswils zu schreiben (zusammen mit Nicole Billeter). Der Bildband «Zwischen See und Berg» erschien 2015.
Wie um noch eins draufzugeben, stellte Treichler eine DVD mit alten Amateuraufnahmen zusammen, die das Dorfleben Richterswils dokumentieren – vom Festumzug über ein Velorennen bis zum dampfbetriebenen Pilgerzug, der Richtung Einsiedeln fährt.
2014 wurde bei Hampi Darmkrebs diagnostiziert. Es folgte eine Operation und Chemotherapie um Chemotherapie. «Hampi», sagte ich stets bei mir, du musst eines Tages mich beerdigen, denn ich bin älter als du.» Doch der Tod hält sich nicht an Geburtenjahrgänge. Hampi ist am Samstag 77-jährig in seinem Heim in Richterswil gestorben.
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