«Märchen sind für Kinder eine Lebenshilfe»
Er mag Schnee, Märchen und kann sich wunderbar in die kindliche Welt eindenken: Nilo Neve, der Erfinder des kleinen Ritters Schlötterli, erzählt in seinem neuen Hörbuch spannende Abenteuer rund um Winter und Weihnachten.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie heute einem Samichlaus begegnen?Nilo Neve: Oh? Schon wieder Weihnachten? Wie rasant das Jahr wieder um ist! Und mir geht dann durch den Kopf, dass es eigentlich faszinierend ist, wie der uralte Samichlaus noch so hoch im Kurs steht, nichts von seiner Attraktivität verloren hat und locker mit den modernen Kinderhelden, wie Batman oder Prinzessin Lillifee, mithalten kann. Woran das wohl liegt?
Sie arbeiten als Hortleiter und haben demnach einen guten Einblick ins Seelenleben von Kindern. Was denken Sie, hat sich im Bezug zum Samichlaus im Vergleich zu früheren Zeiten verändert?
Gerade heute war der Samichlaus bei uns im Hort zu Besuch. Mit ihm war auch der Schmutzli. Der Samichlaus war sehr lieb zu den Kindern und seine Fitze blieb im Sack. Ich bin froh, sonst hätte ich als Hortleiter mit den beiden schimpfen müssen. Ich hab mal gehört, dass in früheren Zeiten der Samichlaus oftmals bestrafend war, viel moralisierte, seinen Fokus stark auf das negative Verhalten richtete. Schön, ist er heute nicht mehr so.
Der Samichlaus, sprechende Tiere und andere zauberhafte Gestalten finden in Ihren Märchen immer Einzug. Kinder lieben das, trotz Smartphone und aufklärender Informationsflut, die nicht vor den Kleinen haltmacht. Wie erklären Sie sich das?
Kinder – bis zu einem bestimmten Alter – leben in anderen Realitäten als wir Erwachsene. Sie haben, wie die Naturvölker, animistische Vorstellungen über ihre Umwelt. Alles, was existiert, ist beseelt. Autos können denken, Tiere können sprechen und so weiter. Es gibt viel Neues zu entdecken, und da vieles noch unerklärlich bleibt, ist es schlichtweg magisch. Die Märchen, mit ihren fantastischen Handlungen und Gestalten, bedienen daher das Verständnis der Kinder über die Welt.
Und auf emotionaler Ebene?
Märchen bieten Trost und zeigen Lösungen auf. Heldinnen und Helden dienen der Identifikation und machen Mut, schwierige Situationen zu meistern. Die Kinder spielen die Geschichten nach, probieren dabei Verhaltensweisen aus, schlüpfen in verschiedene Rollen und profitieren so in vielerlei Hinsicht für ihre Entwicklung.
Also sind Märchen stärkerals Informationen?
Smartphones oder Aufklärung im Sinn von «das ist alles erfunden und gar nicht wahr» können dem Märchen das Wasser nicht reichen. Sie können die Faszination des Märchens nicht brechen, denn Smartphone und Informationsflut braucht das Kind nicht, sie entsprechen einfach nicht seinen Bedürfnissen.
Märchen sind also für Kinder immer noch zeitgemäss. Was macht den Zauber aus?
Das Märchen kann noch so uralt sein, es bleibt auf eine gewisse Weise aktuell, denn im Kern geht es immer um menschliche Probleme, die zu lösen sind. Werden diese Hindernisse überwunden, wächst der Mensch daran. Durch die Erfahrung der Selbstwirksamkeit reift er zu einer eigenständigen und intelligenten Person. Das Kind strebt danach, sich weiterzuentwickeln, und findet sich mit seinen Gefühlslagen, Empfindungen oder Lebenssituationen – im übertragenen Sinn – in den Erzählungen wieder. Genau das macht den Zauber aus. Solange es also Menschen respektive menschliche Probleme gibt, bleibt das Märchen zeitgemäss.
In jedem Bereich?
Es gibt allerdings auch ein paar Kritikpunkte, so zum Beispiel die meist passive oder negative Rolle der weiblichen Figuren – böse Stiefmütter, hochnäsige Prinzessinnen – oder moralische Vorstellungen, die falsch sind oder nicht mehr in unsere Zeit passen.
Und nun zu Ihrem neuen Hörbuch. Fürs Probehören stehen Ihnen jeweils kleine Experten zur Verfügung: Wie kritisch urteilen denn Ihre Hortkinder?
In der Tat haben die Hortkinder, meist im Kindergartenalter, das Vergnügen, meine Geschichten probezuhören. Ich bin sehr froh, dass alle gerne Märli hören und sehr auf neues Geschichtenmaterial brennen. Sie geben mir ihr Urteil sehr direkt und unverblümt ab. Diese Erfahrungen bringen das Entwickeln der Geschichten weiter. Dank ihnen wurde meine CD sehr spannend und hörenswert für alle Kinder der deutschsprachigen Schweiz.
Glauben Sie, dass auch Erwachsene wie Kinder in Märchen-welten eintauchen können?
Ja, das machen Erwachsene regelmässig. Dazu dienen alte, aber ebenso moderne Märchenvorlagen. Zum Beispiel, wenn sie ins Kino gehen und «Star Wars» schauen. Es soll auch Erwachsene geben, die es den Kindern gleichtun und sich im Star-Trek-Kostüm oder in historischen Ritterrüstungen dem Rollenspiel hingeben.
In «Juhu, es schneit!» erzählen Sie winterlich angehauchte Kurzgeschichten. Was hat Sie dazu bewogen, sich für diese Jahreszeit zu entscheiden?
Bislang hab ich nur Hörspiele veröffentlicht. Parallel dazu bastelte ich in unregelmässigen Abständen an Kurzgeschichten rum. Irgendwann hatte sich so viel Material angesammelt, dass es nicht mal auf zwei CDs gepasst hätte. Das war der Zeitpunkt, als ich entschied, die Geschichten aus der Schublade zu nehmen. Ich versuchte, sie einem roten Faden entlang zu büscheln, sonderte diejenigen aus, die nicht in die Winterzeit passten, optimierte sie, schrieb sie teils neu um, nahm sie im Studio auf, verbesserte sie immer und immer wieder.
Alles im Alleingang?
Es entstand dabei auch eine neue Zusammenarbeit mit der jungen Autorin Sarah Koller, die ebenfalls eine Geschichte beitrug, und Herbie Stirnimann, einem Musikproduzenten, der mit seinen Musikern die Musik komponierte. Das war nicht nur ein Heidenspass, sondern auch eine Heidenarbeit! Den Titel «Juhu, es schneit!» wählte ich, weil er ein freudiges Ereignis ausruft. Wenn der erste Schnee fällt, schlägt mein Herz höher, so auch wenn wieder eine neue CD entsteht.
Hat es sich nach fünf Folgen mit dem kleinen Ritter also ausgeschlötterlet?
Nein, es hat sich nicht ausgeschlötterlet. Ritter Schlötterli macht nur grad Pause, bis ich ein neues Hörspielskript entwickelt habe. Das braucht halt seine Zeit, weil viel Arbeit darin steckt.
Die Kinder würden den kleinen Ritter wohl vermissen.
Der kleine Ritter ist sehr beliebt und wird immer berühmter. Erleben kann man ihn aktuell live an den Vorstellungen von Nilo & Fu. An unserem Musiktheater können die Kinder das Ritter-Schlötterli-Lied lernen und zusammen singen, aktiv in das Geschehen auf der Bühne eingreifen und mit dem kleinen Ritter mitfiebern.
In den Geschichten des kleinen Ritters wurde immer ein Thema aufgearbeitet. Wollen Sie auch in «Juhu, es schneit!» Lebenshilfen weitergeben oder steht hier das märchenhafte Moment im Vordergrund?
Die Märchen sind eine Lebenshilfe. Sie fokussieren aber nicht nur auf ein Thema, wie das jeweils in den Hörspielen der Fall ist. Aktuell geht es um Themen, die zur weihnächtlichen Zeit passen, zum Beispiel gegenseitige Unterstützung bieten, zueinander schauen, Freundschaften schliessen, Andersartigkeit tolerieren, sich in Geduld üben und . . . nicht zu viele Wiehnachtsguetsli aufs Mal essen.
Und welche Märchen bringt die Zukunft? Planen Sie weitere saisonal geprägte Geschichten oder denken Sie über neue Figuren nach?
Die Zukunft wird Märchen aller Art bringen, mit und ohne Ritter Schlötterli. Mit Vergnügen werde ich neue Figuren einführen und alte auftauchen lassen. Bis dahin freu ich mich aber erst mal auf den Schnee.
«Juhu, es schneit» Nilo's Märli. Hörbuch. Ab 3 Jahren. Erhältlich im Handel und digital auf iTunes, Google Play und Spotify.
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