Ausflugstipp TessinKunst an allen Ecken und Enden
Lugano und das Licht des Südens zogen Künstler aller Genres schon immer magisch an. Auf den Spuren von Hermann Hesse und Co.

Die Ehrung kam auf den letzten Drücker: Einen Monat bevor Hermann Hesse starb, ernannte Montagnola den Schriftsteller und Nobelpreisträger zum Ehrenbürger. Nachdem er mehr als vierzig Jahre im Tessiner Dorf gelebt hatte, hier Weltbestseller wie «Siddhartha», «Das Glasperlenspiel» oder «Narziss und Goldmund» auf seiner Schreibmaschine getippt hatte.
Knapp 20 Minuten braucht das Postauto vom Bahnhof Lugano hinauf auf den «Goldhügel» Collina d’Oro. Oben angekommen, versteht man, was Hesse in seine Wahlheimat verschlagen hatte – und ihn hier bis an sein Lebensende hielt: Über Magnolien und Palmen geht der Blick hinab auf den Golf von Lugano und das Azurblau des Wassers. Nahe dem Monte San Salvatore, dem Zuckerhut der Südschweiz. Zwischen dessen Fuss und dem Monte Arbòstora: das Künstlerdorf Carona, von dem aus Architekten, Maler und Bildhauer einst nach ganz Europa aufbrachen – laut Hesse «ein Platz voll Sonne, Staub und Frieden».
Die Magie des Tessins hielt Hesse nicht nur in «Klingsors letzter Sommer» fest, sondern auch in unzähligen Aquarellen. Zu sehen sind seine künstlerischen Hinterlassenschaften – inklusive Pinsel und Malkasten – im Museo Hermann Hesse, gleich neben seiner einstigen Wohnung. «Meine noble Ruine», bezeichnete der damals brotlose Poet seine zugige Unterkunft in der Casa Camuzzi.


Heute erstrahlt die Fassade in zartem Rosa und sieht mehr nach Villa als nach Ruine aus. In Hesses Fussstapfen treten kann man auf einem ihm zu Ehren benannten Wanderweg, der zu elf Stationen führt, die eng mit des Autors Leben verbunden waren.
Fast übersieht man das Grab
Der Weg führt in Kastanienwälder, durch die Hesse streifte, zu seinem Lieblingsgrotto, wo Hesse gern mit einem Glas Rotwein anstiess, und zu seinem Grab auf dem Friedhof von Gentilino. Fast übersieht man den grauen Granitblock neben all dem Marmor, derart unscheinbar ist das karg bepflanzte Grab – möglichst schlicht, so hatte Hesse es sich gewünscht.
Der Schriftsteller mag einer der wichtigsten Ambassadeure für die Gegend sein – selbst die Rockröhren Patti Smith und Udo Lindenberg besuchten das Museum mehrmals –, mitnichten ist Hesse jedoch der einzige Botschafter. Auf den Schienen der Gotthardbahn kamen Ende des 19. Jahrhunderts immer mehr Kunstschaffende ins Tessin, angezogen vom mediterranen Charme Luganos und der ganzen Region.
«Das ganze Tessin ist hier sichtbar, die Beziehung zwischen dem Norden und dem Süden», erzählt Cristina Sonderegger, Senior-Kuratorin des Masi Lugano. An seinen beiden Standorten, dem Kulturzentrum LAC und dem Palazzo Reali, bildet das Museum einen kulturellen Knotenpunkt zwischen der italienischen und der deutschen Schweiz.
Nach mehr als drei Jahren Umbauzeit eröffnete der Palazzo Reali im Dezember 2019 wieder, kurz vor dem ersten Lockdown. Im Herzen der Stadt, wo Einheimische und Besucher über Piazze und unter Arkaden flanieren, fügt sich der Palast ins urbane Ensemble. «Die Front hat sich zur Stadt hin geöffnet, abends brennt das Licht, damit das Museum in die Stadt hineinkommt, der Dialog gefördert wird», beschreibt Sonderegger.
Sonnenreichster Berg der Schweiz
Weitere Künstlerspuren kann man auf dem zweiten Hausberg Luganos, dem Monte Brè, entdecken. Ratternd schiebt sich die Standseilbahn von Cassarate 925 Meter hinauf auf den sonnenreichsten Berg der Schweiz. An den Häuserwänden rankt Wein, vor den Türen blühen Hortensien, und die seltene Weihnachtsrose, die man sonst nur in Südeuropa findet, gedeiht oberhalb des Seebeckens von Lugano.

Das malerische Dorf Brè, das mit den Steinmauern und verwinkelten Gassen wie ein antikes Freiluftmuseum anmutet, war der Geburtsort des Bildhauers Pasquale Gilardi, genannt Lelèn, und des Malers Luigi Taddei. Dessen Fresken kann man an der Aussenseite der Pfarrkirche bewundern.
Sie ist Ausgangspunkt vom «Weg der Kunst»: Auf dem Rundgang können die Besucher weitere Werke von Schweizer Künstlerinnen und Künstlern entdecken. Egal, um welche Ecke man biegt: Immer wieder trifft man auf Skulpturen, die in Gassen stehen oder an Hauswänden hängen.
An der Route liegt auch das Museum Wilhelm Schmid. Die Arbeiten des einzigen Schweizer Vertreters der Neuen Sachlichkeit und des magischen Realismus sind in seinem ehemaligen Wohnhaus ausgestellt – eine Galerie, die sich über mehrere verwinkelte Etagen zieht.
Und auch in Brè sollte man einen Halt einlegen, wo alles Leben endet: Auf dem Friedhof hatte sich der 1971 verstorbene Schmid ein eigenes Denkmal gesetzt. Über seinem Grab thront ein Mosaik des Abendmahls. Anstelle von Jesus hat Schmid sich in «La Cena» in die Mitte des Tisches platziert, umringt von seinen Freunden.
In Zusammenarbeit von SonntagsZeitung und Lugano Region
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