Nach der Explosion in Beirut«Konglomerat des Wahnsinns»
Nach dem verheerenden Unfall im letzten August haben die Aufräumer brisante Funde gemacht. In Beiruts Hafen lagen noch Chemikalien für eine zweite Katastrophe.

Wer die Explosionskatastrophe von Beirut zu verantworten hat, ist auch sechs Monate danach nicht aufgeklärt. Am letzten Donnerstag demonstrierten deshalb Angehörige der mehr als 200 Todesopfer vor dem Hafen der libanesischen Hauptstadt. Dass dort noch weit mehr Giftstoffe gelagert wurden, als die am 4. August in Brand geratenen 2750 Tonnen Ammoniumnitrat, erfuhr die breite Öffentlichkeit tags darauf.
Die deutsche Firma Combi Lift, die bei den Aufräumarbeiten in Beirut mitwirkt, hatte 52 Container umweltschädliche und gefährliche Chemikalien gesichert. Die Stoffe sollen sich dort über Jahrzehnte angesammelt haben und stellen eine grosse Gefahr für die Menschen von Beirut dar.
Heiko Felderhoff, Chef von Combi Lift, formuliert es im Gespräch noch drastischer: «Das, mit dem wir es da im Hafen zu tun hatten, hätte leicht die nächste Bombe sein können.» Mehr als 1000 Tonnen Chemikalien habe sein Team in Beirut gesichert. «Diese standen in durchgerosteten Containern herum, in Fässern, die beim Anheben auseinandergebrochen sind. Alles durcheinander – und teilweise schon vermischt.» In Handarbeit pumpten die Arbeiter Flüssigkeiten in Transportbehälter, sicherten Granulate und Pulver – nachdem sie in mobilen Laboren geklärt hatten, mit welchen Stoffen sie es überhaupt zu tun haben.
Als Felderhoff wenige Tage nach der Katastrophe erstmals in Beirut eintraf, ging er noch davon aus, dass er fünf bei der Explosion im Hafen gesunkene Schiffe heben sollte. «Dass es hier weit grössere Sorgen gibt – davon hatten wir keine Ahnung.» Dann zeigte man ihm jedoch die giftigen Substanzen. «Die Regierung ist da plötzlich sehr nervös geworden», erzählt er. Doch selbst, wenn Beiruter Politiker nervös werden, dauert es seine Zeit, bis Entscheidungen fallen: Ein Vertrag wurde erst im November unterschrieben.
Was Libanons Hafenbehörde, der Zoll und die Armee der Firma Combi Lift dann nach und nach präsentierten, nennt Felderhoff ein «Konglomerat des Wahnsinns»: «Da waren Nervengifte dabei und Flusssäure: Das ist eine Substanz, in der man einen Menschen binnen Minuten auflösen kann.» Ausserdem fand man Ameisensäure, Salzsäure, Aceton, Methylbromid, Schwefelsäure, Peroxyessigsäure, Natriumhydroxid und Glycerine.
Stoffe für Assads Fassbomben
Wer diese Stoffe importierte und warum sie im Hafen lagerten – dazu gibt es keine Dokumente. Wer den Hafen kontrollierte, ist dagegen nicht nur Experten bekannt. Es handelt sich um die Hizbollah, gegen deren Willen im Land kaum etwas entschieden wird und die in den schiitisch dominierten Landesteilen einen Staat im Staat aufgebaut hat. Gefördert und teils gesteuert wird der Zwitter aus Partei und Miliz von Iran – das den Hafen von Beirut laut Beobachtern lange nutzte, um Sanktionen zu umgehen. Einige der nun gesicherten Stoffe eignen sich zum Bau von Chemiewaffen.
Den im letzten August in Beirut explodierten Stoff nutzte Syriens Regime zudem für die Fassbomben, mit denen Assads Luftwaffe ganze Stadtviertel einebnete. Zuletzt berichtete ein libanesischer Journalist über einen seltsamen Zufall: Die Firma, die offiziell Eigentümerin des in Brand geratenen Ammoniumnitrats war, wurde am selben Tag an einer Londoner Geschäftsadresse registriert, an dem auch regimenahe, mit Sanktionen belegte syrische Geschäftsleute dort Unternehmen anmeldeten.

Ein Beweis, dass die 2750 Tonnen aus Beirut für Assads Regime bestimmt waren, ist das noch nicht – doch Libanons Justizminister plädierte dafür, der Fährte nachzugehen. Ob der ermittelnde Richter Fadi Sawwan das tun wird, ist unklar: Zum einen gilt er als Assad-freundlich, zum anderen liess er die Ermittlungen auch wegen eines Lockdown zuletzt zwei Monate ruhen. Seit August hat Sawwan vor allem mittlere Beamte vernommen. Als er im Dezember auch Ex-Minister und Premier Hassan Diab als Verdächtigen befragen wollte, verweigerten die Beamten die Kooperation.
Von dem mit der Hafenbehörde Beiruts vereinbarten Honorar hat die Firma Combi Lift aus dem norddeutschen Bremen bisher nichts gesehen: «Vereinbart ist eine erste Teilzahlung beim Abschluss der Arbeiten im Hafen», sagt Firmenchef Felderhoff, «das wäre also jetzt.» Der zweite Teil der Zahlung müsste bei Ankunft im Zielhafen Wilhelmshaven fällig werden, von wo die Giftstoffe zu spezialisierten Entsorgern gebracht werden sollen.
In zwei Raffinerien und Kraftwerken bei Beirut fanden die Aufräumer weitere Lager mit Giftmüll, darunter auch nukleare Substanzen.
Die Kosten für Sicherung, Abtransport und Entsorgung hatte Combi Lift mit 3,7 Millionen Euro kalkuliert, einigte sich mit der Hafenbehörde aber zunächst auf 2 Millionen, mehr konnte diese nicht zahlen. Den Rest hofft Felderhoff bei der EU, den G-7 und anderen Organisationen einzuwerben. Wenn er deswegen vorspricht, bekomme er zwar viel Anerkennung, bei finanziellen Zusagen hielten sich die Institutionen aber zurück.
Dass er trotzdem in Vorleistung geht, erklärt der Ex-Kapitän damit, dass er in erster Linie den Menschen im Libanon in dieser Ausnahmesituation helfen wolle. Zugleich sei es eine strategische Entscheidung, denn die Region werde bis auf weiteres Markt für sein Unternehmen sein. Auch in Syrien werde irgendwann der Krieg enden, «dann muss da aufgeräumt werden».
Auch in Libanon gibt es noch Aufgaben, die Aufträge werden könnten: Vor allem während des Bürgerkriegs bis 1990 verdienten Milizenchefs Millionen damit, Giftmüll aus Europa anzunehmen. Manches wurde vergraben, manches ins Meer gekippt, manches haben nun Felderhoffs Leute entdeckt. In zwei Raffinerien und Kraftwerken bei Beirut fanden sie weitere Lager mit Giftmüll, darunter auch nukleare Substanzen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.