Kindern wird die Behandlung bezahlt
Die Invalidenversicherung übernimmt neu die Kosten des ersten Medikaments gegen fortschreitende Muskelschwäche. Allerdings erst bei Kindern. Für Erwachsene zeichnet sich noch keine Lösung ab.

Nicole Gusset spricht von einem «Riesenerfolg». Die Präsidentin der Schweizer Patientenorganisation für spinale Muskelatrophie (SMA) freut sich darüber, dass die Invalidenversicherung (IV) die Behandlungskosten mit dem Medikament Spinraza übernimmt. Dies hat das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) am vergangenen Mittwoch per Rundschreiben festgelegt.
93 000 Franken pro Dosis
Spinraza ist das erste Medikament, das die genetisch bedingte neuromuskuläre Erkrankung, von der 1 von 10 000 Neugeborenen betroffen ist, stoppen kann. Ohne Behandlung werden Laufen, Sitzen, Kopfkontrolle und Schlucken für Betroffene immer schwieriger – ein Leben im Rollstuhl, künstliche Beatmung und Ernährung können die Folgen sein (siehe Artikel vom 10. März).
Zugelassen ist Spinraza in der Schweiz bereits seit September 2017. Doch bisher war die Behandlung für die meisten Betroffenen unerschwinglich. Denn die Kosten sind sehr hoch. Die IV hat nun mit der Herstellerin Biogen einen Preis von 92 778.50 Franken pro Dosis ausgehandelt. Im ersten Jahr sind sechs Injektionen nötig, ab dem folgenden Jahr drei.
Dass das BSV nun zum Abschluss der Verhandlungen mit der Herstellerin gekommen ist, sieht Nicole Gusset auch dem Druck geschuldet, den die Patientenorganisation aufbauen konnte. Anfang März haben sich Betroffene und Angehörige mit einem offenen Brief an Bundespräsident Alain Berset (SP) gewandt. «Viele haben auch persönliche Briefe ans Bundesamt und die Herstellerin geschrieben», sagt Gusset, deren achtjährige Tochter von SMA betroffen ist.
Es bleiben die Erwachsenen
Eine erste Hürde sei genommen, sagt Gusset, «es bleiben aber noch die Erwachsenen.» Denn von der Kostenübernahme durch die IV profitieren nur Kinder und Jugendliche unter 20 Jahren. Nachdem diese Betroffenen das 20. Altersjahr erreicht haben, übernimmt die obligatorische Krankenversicherung anstelle der IV die Behandlungskosten. Dafür muss das Bundesamt für Gesundheit (BAG) Spinraza aber erst in die Geburtsgebrechenmedikamentenliste aufnehmen.
Die Zulassungsinhaberin muss nun beim BAG einen Antrag stellen, worauf dieses Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit des Medikaments prüft. Laut BAG hängt die Dauer des Verfahrens primär davon ab, ob anhand von Daten auch die Wirksamkeit und Zweckmässigkeit bei Patienten, die älter als 20 Jahre sind, aufgezeigt wurde.
«Wir versuchen alles»
Ihm sei bewusst, wie schwer es für Betroffene sei, lange auf den Entscheid zur Vergütung zu warten, schreibt Bundespräsident Berset in seiner Antwort auf den offenen Brief der Patientenorganisation. «Wir versuchen alles, dieses Dilemma zwischen einem raschen Zugang zum Medikament und der Sicherstellung eines angemessenen Preises so rasch wie möglich zu überbrücken.»
Offen bleibt jedoch die Situation von Betroffenen, die heute bereits älter sind als 20 Jahre. Sie fallen in eine Lücke, die es eigentlich nicht geben sollte: Sie können weder die Kostenübernahme der IV beanspruchen, noch die Nachfolgeregelung über die Geburtsgebrechenmedikamentenliste.
Laut BAG müssen die Krankenversicherer hier die Vergütung im Einzelfall prüfen. Voraussetzung für eine Kostenübernahme sei, dass vom Medikament «ein grosser therapeutischer Nutzen gegen eine Krankheit erwartet wird». Die Krankheit müsse tödlich verlaufen oder schwere und chronische gesundheitliche Beeinträchtigungen nach sich ziehen. Zudem müsse wegen fehlender therapeutischer Alternativen keine andere wirksame und zugelassene Behandlungsmethode verfügbar sein.
«Unhaltbar und ungerecht»
Einen solchen Einzelfallantrag gestellt hat Bettina Rimensberger bereits. Die 30-jährige Wetzikerin ist eine der Betroffenen, die den offenen Brief unterschrieben hat. Ihre Krankenkasse habe ihren Antrag auf Kostenübernahme– wie in den allermeisten Fällen – abgelehnt, obwohl sie unter schwersten chronischen gesundheitlichen Beeinträchtigungen leide, und für sie keine therapeutische Alternative zur Verfügung stehe.
Es sei zwar ein wichtiger Meilenstein, dass durch den Entscheid des BSV die Kostenübernahme bei Kindern nun gesichert sei, schreibt Bettina Rimensberger per E-Mail: «Für mich als 30-jährige Betroffene ist es jedoch sehr enttäuschend, dass das BAG noch immer keine Lösung für Erwachsene, die zum jetzigen Zeitpunkt älter als 20 Jahre sind, ausgearbeitet hat.» Sie fordert, dass auch alle Erwachsenen so schnell wie möglich Zugang zur überlebenswichtigen Therapie bekommen: «Die aktuelle Situation ist absolut unhaltbar und ungerecht. Wieso sollten die vor 1997 Geborenen dafür büssen, dass sie bei der Zulassung von Spinraza bereits das 20. Lebensjahr überschritten hatten?»
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