Britischer Premier unter DruckJohnson und Truss nehmen Sunak gemeinsam in die Zange
Keine vier Monate ist es her, dass Liz Truss mit Schimpf und Schande aus 10 Downing Street gejagt wurde. Nun versucht sie wie ihr Vorgänger Boris Johnson ein Comeback.

Keine vier Monate sind vergangen, seit Liz Truss aus No. 10 Downing Street ausziehen musste. Dass sie mit ihrem berüchtigten «Mini-Budget» Chaos auf den Märkten anrichtete, die Bank von England zu Notmassnahmen zwang und ihren Landsleuten gewaltige finanzielle Probleme bescherte, hatte im letzten Oktober zu ihrer Absetzung durch die eigene Partei im Eilverfahren geführt. Mit nur 45 Tagen als Regierungschefin hält Truss nun den wenig schmeichelhaften Rekord der kürzesten Amtszeit als Premier. Die folgenden hundert Tage, in denen ihr Nachfolger Rishi Sunak in der Regierungszentrale Fuss zu fassen suchte, blieb sie stumm und liess sich in Westminster nicht sehen.
«Mangel an politischer Unterstützung»
Nun aber ist sie mit einem Mal wieder ins Rampenlicht getreten. Der rechtskonservative «Sunday Telegraph» stellte ihr für ihren Auftritt fast seine gesamte Frontseite zur Verfügung. In ihrem Beitrag erklärte Truss, sie habe wohl Fehler gemacht, aber man habe ihr auch «nie eine realistische Chance» gegeben, ihr im Grunde korrektes Steuerkürzungsprogramm in die Tat umzusetzen. Ein «äusserst mächtiges ökonomisches Establishment» habe ihre Bemühungen letzten Endes vereitelt, sagt die gescheiterte Premierministerin.
Mitschuld gewesen sei natürlich auch «ein Mangel an politischer Unterstützung» durch die eigene Fraktion. Ein verhängnisvoller «Linksdrall» im wirtschaftspolitischen Denken habe zusätzliche Schwierigkeiten geschaffen. Dabei hätten unzählige Mitbürger ihr seit ihrem Abgang versichert, dass ihre Diagnose zweifellos «die richtige» war. Mit weiteren Kommentaren will Truss in den nächsten Tagen an die Öffentlichkeit gehen.

Diese Kampagne beginnt für Premier Sunak zu einem Problem zu werden. Denn der in der Wählerschaft weithin unpopuläre Regierungschef findet sich neuerdings in der eigenen Partei unter immer grösserem Druck. Die Parteirechte verlangt, Sunak solle sich endlich statt auf die Kontrolle der Inflation im Lande auf niedrigere Steuern und schnelles Wachstum konzentrieren. Gegen diesen Druck stemmen sich Sunak und sein Schatzkanzler Jeremy Hunt bisher. Das hat ihnen seitens ihrer Hardliner den Vorwurf eingetragen, sich verdächtig «sozialdemokratisch» zu verhalten, statt «auf propere Weise konservativ».
Tatsächlich haben Verbündete von Truss in den letzten Wochen in der Fraktion eine neue Interessengruppe gegründet. Bereits 40 Abgeordnete sollen in dieser Gruppe vertreten sein. Starken Rückhalt haben die «Trussisten» in einflussreichen konservativen Zeitungen wie dem «Telegraph» oder der «Daily Mail», die den «Weichling» Sunak gern aus dem Amt hätten. Britische Oppositionspolitiker haben jüngst ihrer Verwunderung darüber Ausdruck gegeben, dass diese Blätter so täten, als sei im vorigen Herbst, unter Truss, «überhaupt nichts passiert».

Ob Truss tatsächlich hofft, noch einmal an die Macht zurückzukehren, oder ob sie nur ihren Überzeugungen neues Gehör verschaffen und sich «rehabilitieren» will – darüber gehen die Meinungen auseinander. Dagegen herrscht weitgehend Einigkeit in der Frage, was Truss’ eigener Vorgänger und früherer Boss Boris Johnson plant. Johnson setzt sich schon seit Wochen immer neu als Kontrastfigur zu Sunak in Szene. Er tritt gross in Davos, Kiew und in den USA auf. Er verlangt für die Ukraine nicht nur viel mehr Panzer (die er als Premier noch für nutzlos hielt), sondern auch Kampfjets, möglichst sofort. Er weiss saftige Nachrichten über sich selbst, Putin und Atomwaffen zu erzählen.
Daheim schaut er sich derweil nach einem sicheren Wahlsitz für die nächsten Unterhauswahlen um. Und natürlich fordert auch er baldige Steuerkürzungen und schnelles Wachstum – sobald «die Zeit dafür gekommen ist». Alle paar Tage gelingt es Johnson so, wieder in die Schlagzeilen zu kommen. Und sein Kommunikationstalent hebt sich klar ab von Sunaks eher farblosen Auftritten. Laut Umfragen entfallen bei Tory-Mitgliedern noch immer mehr Stimmen auf Johnson als auf Sunak. Kein Wunder, dass der amtierende Premier zunehmend irritiert ist, seit er von Johnson und Truss gleichzeitig in die Zange genommen wird.
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