Der Libanon versinkt im politischen Chaos«In die Hölle fahren, wohin sonst?»
Im Krisenland Libanon scheitert die Regierungsbildung. Der designierte Premier Mustafa Adib hat sich zurückgezogen.

Den Weg, den sein krisengeschütteltes Land nehmen werde, falls nicht bald eine neue Regierung stehe, hatte der Staatspräsident am Anfang der vergangenen Woche schon einmal vorgezeichnet. Libanon werde dann «in die Hölle fahren, wohin sonst?», antwortete Michel Aoun einem Reporter, der ihn auf die schleppenden Verhandlungen über das künftige Kabinett ansprach. Die Stimmung war zu diesem Zeitpunkt schon maximal angespannt, eigentlich hätte eine Regierung bereits seit einer Woche stehen und an Reformen arbeiten sollen, wenn es nach Plan gegangen wäre.
Blick in den Abgrund
Seit Samstag nun ist klar, dass der Libanon eine der letzten Abfahrten verpasst hat, die noch vom Weg in Richtung Hölle weggeführt hätten. Mustapha Adib, der vor gut einem Monat als künftiger Premier vorgeschlagen wurde und seither versucht hatte, eine Kabinettsliste zusammenzustellen, gab nach einem Gespräch mit Aoun sein Mandat zurück. In einer Fernsehansprache, die in dem marmorverkleideten Atrium des Präsidentenpalastes aufgenommen wurde, entschuldigte er sich später beim libanesischen Volk für sein Scheitern und sagte, er hoffe, dass sein Nachfolger erfolgreicher sein werde. Dann verabschiedete er sich und kündigte an, zurück nach Berlin zu reisen, wo der 48-Jährige seinen Posten als Botschafter des Landes wieder antreten wird.
In seiner Geschichte hat der Libanon schon einige Kabinettsverhandlungen scheitern sehen, nach 15 Jahren Bürgerkrieg und politischen wie wirtschaftlichen Dauerkrisen sind seine Bewohner den Blick in den Abgrund zu einem gewissen Grad gewohnt. Dass Präsident Aoun nun aber die Zukunft des Landes mit so drastischen Worten ausmalt, liegt daran, dass seit der Explosionskatastrophe von Beirut nicht nur eine bunte Protestbewegung eine Generalinventur in der libanesischen Politik fordert, sondern auch die wichtigsten internationalen Partner des Landes – allen voran Emmanuel Macron.

Der französische Präsident hatte in dem Ex-Mandatsgebiet nach der Explosion vom 4. August, die mehr als 6000 Menschen verletzte und 190 das Leben kostete, zwei sehr bestimmte Auftritte hingelegt. Bei ihnen verpflichtete er die lokalen Politiker auf Reformen – sonst werde es keine Hilfe aus Paris für den Wiederaufbau Beiruts und für die Umstrukturierung der Staatsfinanzen des hoch verschuldeten Landes geben. Bei seinem zweiten Besuch brachte Macron eine «Roadmap» mit, in der konkrete Ziele mit ebenso konkreten Fristen verknüpft waren – etwa der, dass bis 15. September eine mit Experten besetzte Regierung steht.
«Der schiitische Block hat nicht mitgespielt»
Dass die Beiruter Politiker schon die erste Weganweisung verpassen und Macrons Initiative zu scheitern droht, bevor sie Fahrt aufnehmen kann, scheint der Franzose als Affront aufzufassen. Am Sonntagabend wollte er sich bei einer Pressekonferenz äussern, vorab drang aus dem Elysée-Palast, der Präsident sehe das Verhalten der libanesischen Politiker als «kollektiven Verrat».
Beiruter Insider deuten vor allem in Richtung der Parteien Hisbollah und Amal, wenn man ihnen die Schuldfrage stellt. «Der schiitische Block hat nicht mitgespielt», sagt ein hochrangiger libanesischer Diplomat. Er bestätigte Berichte aus Beirut, dass beide Gruppen auf das Finanzministerium bestanden hätten und darauf, dass sie selbst ihre Minister aussuchen und nicht der designierte Premier Adib. «Vielleicht sind sie aber auch nicht frei, ihre Entscheidungen nach eigenem Willen zu treffen.» Beide Gruppen sind mit dem Iran verbündet, Teheran hat kaum Interesse an Veränderungen, die einen Machtverlust im Libanon einleiten könnten. Dass die USA inmitten der Kabinettsverhandlungen zwei Politiker von Amal und Hisbollah mit Sanktionen belegten, habe die Gruppen in ihrer Verweigerung bestätigt, so der Diplomat.
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