Ein Alltag wie in einer Grossfamilie
Im Bezirk Horgen gibt es sowohl in der Stiftung Amalie Widmer in Horgen wie im Serata im Tagaktiv in Thalwil ein Angebot zur Entlastung von pflegenden Angehörigen. Ein Einblick in die beiden Institutionen.

«Ich kann meinen Mann keine Minute mehr alleine lassen», sagt die 67-jährige Esther Meier. Die Horgnerin redet ruhig und erzählt offen von der Krankheit ihres Mannes. Der 84-jährige Ruedi Meier, ehemals Schreiner, erhielt die Diagnose «mittlere Demenz» vor drei Jahren. Seine Ehefrau erkannte die Anzeichen der Alzheimer-Erkrankung aber schon drei Jahre früher.
Vor anderthalb Jahren wurde Esther Meier dann von der Anlaufstelle Alter und Gesundheit im Horgner Baumgärtlihof auf das Angebot Tagesbegegnung in der Stiftung Amalie Widmer (SAWH) aufmerksam gemacht. Sie war zuerst skeptisch und wollte ihren Mann «nicht hergeben». Sie, die Tag und Nacht für ihren Mann da ist, spürte aber, dass sie am Ende ihrer Kräfte war. Heute ist Ruedi Meier drei Tage die Woche in der Tagesbegegnung der SAWH zu Gast. Die Ehefrau ist dankbar für die Unterstützung, «da ich dadurch ein paar Stunden Freiraum erhalte, um die Batterien wieder aufzuladen». Sie ist überzeugt, dass es auch ihrem Mann hilft, wenn ihre Energie länger reicht. Sie sagt: «Dann kann er zu Hause bleiben, und ich muss ihn noch nicht ins Pflegeheim geben.»
Spaziergänge und vieles mehr
Die Tagesbegegnung ist ein Angebot, das in einem separaten ebenerdigen Pavillon auf dem Areal des Zentrums untergebracht ist. Angeleitet von der Pflegefachfrau Verena Kühne und ihrem Team finden hier sechs bis zehn Gäste mit Schwierigkeiten nach Krankheiten oder Unfällen tageweise ein zweites Zuhause. Gemeinsam wird gespielt und geturnt, gemalt und gerüstet. Auch Gedächtnistraining, Gespräche über Aktuelles sowie Momente der Entspannung und vor allem Spaziergänge stehen auf dem Programm. Die Aktivitäten unterstützen laut Christine Huber, Pflegedienstleiterin in der SAWH, die verbliebenen Fähigkeiten und fördern die Selbstständigkeit. Das Team, das Gäste oft fast eins zu eins betreut, legt grossen Wert auf gegenseitigen Respekt und einen liebevollen Umgang. Es darf auch gelacht werden. «Meistens geht es bei uns fröhlich zu und her», sagt Verena Kühne.
Geschäftsleiter Manfred Prassl nennt die Tagesbegegnung «ein wunderschönes Angebot, wo Aktivierung und Begegnung möglich sind». Sie biete Sicherheit und Geborgenheit. Im übersichtlichen Angebot könne gut auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten der einzelnen Gäste eingegangen werden. Als weitere Vorteile der Tagesbegegnung nennt Manfred Prassl die Synergien, die mit dem Haupthaus des Widmerheims möglich sind: etwa pflegerische Unterstützung und Beratung, Physiotherapie, besondere Dienstleistungen wie Besuche beim Coiffeur und Fusspflege. Auf Anfrage können auch Übernachtungsmöglichkeiten im Pflegezentrum angeboten werden. Geschätzt wird weiter das öffentliche Restaurant im Haupthaus. Im Moment sind in der Tagesbegegnung noch Plätze zu vergeben. Für einen Tag in der Tagesbegegnung mit Verköstigung werden den Angehörigen 107.60 Franken berechnet.
Klare Tagesstruktur
Neu gibt es auch in Thalwil ein Entlastungsangebot für betreuende Angehörige: Tagaktiv, wie sich das Zentrum für Tagesaufenthalte nennt, war vormals während 13 Jahren in Horgen ansässig. Seit Anfang April ist es in die Stiftung Serata in Thalwil integriert. Hier bietet ein Team unter der Leitung der Aktivierungstherapeutin Monika Schalch den Gästen eine unterhaltsame, aber nicht überfordernde Tagesstruktur an. Gemeinsam freuen sich die Patienten, die an multipler Sklerose, Parkinson, Demenz und anderem erkrankt sind, an den Angeboten, die den Alltag strukturieren: In der Gruppe wird geturnt, gewerkt und gesungen. Auch das Rüsten von Gemüse und Obst, das Decken des Tisches und das gemeinsame Aufräumen gehören wie zu Hause in der Familie zu den Aktivitäten.
Die Räume des Tagaktiv sind geräumig und hell. Besonders geschätzt werden die fünf Toiletten in der eigens für das Angebot gebauten Wohnung. Ein Highlight ist der grosszügige und rollstuhlgängige Therapiegarten. Grossen Wert legt Silvia Müller Beerli, Geschäftsleiterin des Serata, auf das seelische Wohlbefinden der Gäste. Sie sagt: «Wenn die Chemie stimmt, entlastet dies die Angehörigen, die ihre Lieben tageweise unserer Obhut überlassen».
Angebote nicht ausgelastet
Das Tagaktiv kann bis zu 24 Tagesgäste aufzunehmen. In der Gruppe sind derzeit etwa 17 Gäste anwesend. Es könnten also noch weitere aufgenommen werden. Der eigene Kostenbeitrag für die Aufenthalte im Tagaktiv liegt bei 126.60 Franken pro Tag.
Als Angehöriger, der das Tagaktiv sehr schätzt, meldet sich Karl Rusterholz zu Wort. Der 78-Jährige betreut seine Ehefrau, die vor zwölf Jahren die Diagnose Alzheimer erhielt, zusammen mit seiner Familie zu Hause in Richterswil. Zweimal die Woche ist seine Gattin in der Tagesstätte in Thalwil zu Gast, was dem gelernten und immer noch tätigen Karosserieschlosser freie Stunden ermöglicht. Zufrieden kommentiert er: «Für mich stimmt die Situation so.» (Zürichsee-Zeitung)
Erstellt: 11.06.2018, 15:48 Uhr
Serie zur Alterspflege
Die Gesellschaft wird älter – das ist mittlerweile Allgemeinwissen. Doch welche Konsequenzen bringt eine ältere Gesellschaft für die Gemeinden und ihre Bewohner mit sich? Nicht zuletzt die Alterspflege befindet sich im Umbruch. Die «Zürichsee- Zeitung» wirft mit Reportagen, Porträts und Interviews Schlaglichter auf neue Strategien der Gemeinden, spricht mit Betroffenen, pflegenden Angehörigen und Experten.
Artikel zum Thema
Etwas gesehen, etwas geschehen?
Haben Sie etwas Spannendes gesehen oder gehört?
Schicken Sie uns ihr Bild oder Video per
0 Kommentare