Braucht Horgen ein Parlament?
An einem Podium zur Parlamentsfrage sprach sich Gemeindepräsident Theo Leuthold als einziger dezidiert für die Gemeindeversammlung aus. Gefallen sind die Würfel trotzdem noch nicht.

Nimmt man die Stimmung am Podium «Braucht Horgen ein Parlament» zum Gradmesser, ist der Bezirkshauptort ab 2022 keine Versammlungsgemeinde mehr. So klar war der Tenor am Donnerstagabend in der Aula der Alten Schule. Eingeladen hatte die örtliche CVP.
Auf dem Podium sass mit dem Horgner Gemeindepräsidenten Theo Leuthold (SVP) nur gerade ein klarer Befürworter des Gemeindeversammlungsmodells. Von den anderen drei Podiumsteilnehmern trat zwar nur Alfred Fritschi (SP)– der mit seiner Einzelinitiative die Diskussion forciert, ob Horgen ein Parlament einführen soll – als eindeutiger Verfechter eines Systemwechsels auf.
Sowohl Philipp Kutter (CVP), Stadtpräsident von Wädenswil, als auch Daniel Kübler, Professor für Politikwissenschaften aus Horgen, betonten zwar, sie seien nur da, um zu berichten, welche Erfahrungen die Stadt Wädenswil mit einem Parlament mache respektive welche Vor- und Nachteile die beiden politischen Systeme gemäss Erkenntnissen der Wissenschaft mit sich bringen. Nicht zuletzt dank der gewandten Diskussionsleitung durch Philipp Kleiser, stellvertretender Chefredaktor dieser Zeitung, wurde jedoch klar, dass insbesondere Kübler ein Parlament als angemessenes politisches System für eine Gemeinde der Grösse von Horgen erachtet. Auch unter den rund 70 Zuhörern herrschte mehrheitlich diese Meinung vor, wie aus der Diskussionsrunde hervorging.
Die Grösse
Daniel Kübler strich heraus, dass Horgen mit seinen 23000 Einwohnern und 13000 Stimmberechtigten nicht nur die grösste Gemeinde im Kanton Zürich ist, welche noch an der Gemeindeversammlung festhält, sondern nach Rapperswil-Jona (SG) und Baar (ZG) die drittgrösste der Schweiz. «Aus wissenschaftlicher Sicht wird es mit den Gemeindeversammlungen schwieriger, je grösser eine Gemeinde ist. Denn wenn komplexe Geschäfte in der gewünschten Intensität diskutiert werden, dauer eine Versammlung ewig. Und es braucht mehr Versammlungen.» Nach der Fusion mit Hirzel stelle sich die Frage nach einem Parlament in Horgen mit neuer Dringlichkeit.
«Wir leben gut in Horgen mit der Gemeindeversammlung.»Theo Leuthold, Gemeindepräsident von Horgen
Theo Leuthold konterte, die Grösse einer Gemeinde allein sei kein Argument. «Wir leben gut in Horgen mit der Gemeindeversammlung.» Zwar seien nur 200 bis 300 Einwohner politisch interessiert, jene mit Partikularinteressen nicht mit eingerechnet. «Aber die können immer mitreden, nicht nur alle vier Jahre, wenn Wahlen stattfinden.»
Die Repräsentativität
Fritschi dagegen fand, es genüge nicht zu sagen, Horgen sei bis jetzt gut gefahren mit der Gemeindeversammlung. «Die Stimmbeteiligung ist an Gemeindeversammlungen so klein, das kann nicht repräsentativ sein», sagte Fritschi und sprach von Schlafwagen-Demokratie.
Ob die Repräsentativität denn besser wäre, wenn 36 Parlamentarier über Vorlagen befinden würden, wollte Philipp Kleiser von Fritschi wissen. «Ja, denn die sind gewählt», antwortete dieser, «die Stimmberechtigten können Kandidaten wählen, die ihre Anliegen vertreten.»
Unterstützt wurde Fritschi von Daniel Kübler, der sagte, relevant sei weniger die Anzahl der Stimmenden als die Frage, wie repräsentativ sie für die Bevölkerung seien. Eine Studie zur Beteiligung an Gemeindeversammlungen in Richterswil habe ergeben, dass vor allem Ältere, Männer und Alteingesessene hingehen, Junge, Frauen und Neuzugezogene dagegen unterrepräsentiert seien.
«Zwar sind im Parlament tendenziell die gleichen Gruppen unter vertreten wie an Gemeindeversammlungen, aber wählen gehen auch diese Gruppen.»Philipp Kutter, Stadtpräsident von Wädenswil
Philipp Kutter würde seinerseits unterschreiben, dass die Repräsentativität unter den Wählenden in einer Parlamentsgemeinde grösser ist. «Zwar sind im Parlament tendenziell die gleichen Gruppen unter vertreten wie an Gemeindeversammlungen – Junge, Frauen und Neuzogezogene –, aber wählen gehen auch diese Gruppen.» Eine grosse Herausforderung in Parlamentsgemeinden sei es dafür, Kandidaten für die Wahllisten zu finden.
Da seien die Parteien gefragt, sagte Kübler, sie spielten in einer Parlamentsgemeinde eine wichtigere Rolle als in einer Gemeinde mit Gemeindeversammlung. Ein grosser Vorteil sei auch, dass Parlamentsgemeinden eigentliche Talentschmieden seien.
Die Professionalität
Theo Leuthold wollte all diese Vorteile nicht in Abrede stellen. «Mein Fokus ist stark auf Horgen, wenn die Frage lautet ‹Braucht Horgen ein Parlament›», erklärte er. «Nach dem Motto ‹Never change a running system› bin ich der Ansicht, dass wir in Horgen nicht ohne Not eine sehr aufwändige Systemumstellung vornehmen sollten.»
Fritschi brachte in dies Diskussion ein, ein Parlament könne sich fundierter mit Geschäften auseinandersetzen. «Für die Stimmbürger ist es manchmal schwierig, sich eine Meinung zu komplexen Geschäften zu bilden.» Worauf Theo Leuthold bloss meinte: «Ich habe schon 24 Gemeindeversammlungen geleitet. Ich hatte noch nie den Eindruck, die Leute seien überfordert gewesen. Die Horgner sind gefordert, aber nicht überfordert.»
Die Diskussion wogte noch eine Weile hin und her. Unter anderem wurden die Kosten verhandelt. Wobei auf dem Podium Konsens herrschte, dass ein Parlamentssystem deutlich teurer ist, die Kostendifferenz aber schwierig zu beziffern seien. Eine kostengünstigere Lösung könnte eine Mischform sein, in der die Gemeindeversammlung beibehalten , Kommissionen aber mehr Gewicht erhalten würden. Aufs Tapet gebracht wurde namentlich eine Geschäftsprüfungskommission, welche die Geschäfte inhaltlich prüfen würde. Letztlich sei es eine Frage des Selbstverständnisses der Horgner, sagte Daniel Kübler, ob sie sich als Dorf mit einer Gemeindeversammlung oder eine Stadt mit einem Parlament verstehen. Der 17. November wird Klarheit bringen.
Erstellt: 20.09.2019, 17:17 Uhr
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