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Anschlag auf Synagoge
Halle-Attentäter muss lebenslang in Haft

Im Prozess gab das Gericht den Nebenklägern viel Raum, 45 waren vertreten. Aussagen konnte, wer die Kraft dazu hatte.
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Im Prozess zum rechtsterroristischen Anschlag von Halle ist der Angeklagte Stephan B. zu lebenslanger Haft mit anschliessender Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Zudem stellte das Oberlandesgericht Naumburg am Montag die besondere Schwere der Schuld fest.

Mit der Urteilsverkündung endet ein Prozess, der Massstäbe im Umgang mit Täter und Opfern gesetzt hat. An der Schuld von Stephan B. und dessen Motivation gab es schon vor Beginn keinerlei Zweifel. Stephan B. hatte seine Tat im Internet gestreamt, sein Publikum sollte live dabei sein, als er sich am 9. Oktober 2019 aufmachte, um einen Anschlag auf die Synagoge in Halle zu verüben, wo sich 51 Menschen am höchsten jüdischen Feiertag, Jom Kippur, zum Gebet versammelt hatten. B. wollte sie töten, scheiterte jedoch an der bruchsicheren Tür des Gotteshauses. Die selbstgebauten Waffen, auf die Stephan B. so stolz war, klemmten.

Stephan B. hat Deutsche getötet

Auf der Strasse traf er auf Jana Lange, die auf dem Heimweg war. Er erschoss sie. Dann tötete er Kevin Schwarze, der seine Mittagspause im nahen Imbiss «Kiez-Döner» verbrachte. Der Angeklagte hielt ihn für einen «Nahöstler», wie er es ausdrückte. Stephan B. hat Deutsche getötet – und damit, so sieht er es, versagt.

Den Prozess, so beschrieb es der psychiatrische Gutachter Norbert Leygraf, hätte Stephan B. gern als «zweiten Waffengang» gestaltet. Und als die Vorsitzende Richterin Ursula Mertens dem Angeklagten Stephan B. Ende Juli schliesslich das Wort erteilte, klang er wie ein Mann, der sich im Krieg befindet. Gegen Juden, Araber, alles, was ihm fremd war. Er sprach von einer Invasion, gegen die es sich zu rüsten gelte.

Kränze zum Gedenken an die Opfer des Anschlages stehen vor der Synagoge in Halle.

Mertens holte ihn aus dieser, seiner Welt zurück in die Realität. Sie fragte, ihn wie viele Geflüchtete denn in sein Heimatdorf gekommen seien. Woher er das denn wissen solle, antwortete der Angeklagte patzig. Mertens gab dem Angeklagten Raum. Anders geht es nicht, wenn ein Gericht eine Tat juristisch aufarbeiten und die Schwere der Strafe bemessen soll. Aber B. musste sich vom ersten Tag an in den von Mertens gesteckten Grenzen bewegen. Wenn er sie überschritt, indem er den Holocaust leugnete, ging sie dazwischen.

Im Visier hatte er Juden

Viel Raum bekamen auch die Nebenkläger, 45 waren im Prozess vertreten. Aussagen konnte, wer die Kraft dazu hatte. Für den Vater von Kevin Schwarze war der Auftritt vor Gericht eine Qual. Er weinte. Doch er wollte, dass die Geschichte seines Sohnes, der ihn so mit Stolz erfüllt hat, gehört wird.

Das Ehepaar, das Stephan B. auf seiner Flucht angeschossen hatte, berichtete, wie es nach der Tat vergessen wurde. Von Psychologen aber auch von den Organisatoren einer Gedenkveranstaltung. Und es sprachen jene, die Stephan B. eigentlich im Visier hatte. Jüdinnen und Juden erzählten von ihrer Angst, als die ersten Schüsse fielen, der Suche nach Möglichkeiten zu entrinnen – aber sie demonstrierten auch Stärke, weil sie Stephan B. keine Macht über ihr Leben verleihen wollen. «Wir haben keine Angst, wir stehen zusammen», sagte etwa der Rabbiner Jeremy Borovitz vor Gericht. Und Mollie S.: «Er hat sich mit der falschen Person angelegt.»

Ismet Tekin, der Besitzer des «Kiez-Döners», verpasste keinen einzigen Prozesstag. Er wollte mehr über die Hintergründe der Tat wissen, ob Stephan B. Unterstützer hatte, wer ihm zum Attentat applaudierte. Der Angeklagte hatte vor der Tat zurückgezogen in seinem alten Kinderzimmer gelebt, hockte vor allem vor dem Computer. Er trieb sich auf Imageboards herum – Plattformen, auf denen man anonym rechtsextreme, antisemitische und pornografische Inhalte hochladen kann. Auch der Attentäter von Christchurch, auf den sich B. bezieht, nutzte Imageboards und wird dort wie ein Heiliger verehrt. Ob Stephan B. selbst Inhalte veröffentlichte, ist unklar. Ermittler des Bundeskriminalamts mussten vor Gericht einräumen, keine Kommunikation gesichert zu haben – genauso wenig wie Reaktionen auf die Tat.

Sicherheitsbehörden überfordert

Dünn waren auch die Erkenntnisse zum Gaming-Verhalten von Stephan B.. Er hatte online Ego-Shooter gespielt und per Computersimulation Waffen zusammen- und auseinandergebaut. Der Auftritt einer Ermittlerin zum Spielverhalten des Angeklagten glich durch die intensive Befragung der Nebenklageanwälte zuweilen einem Kreuzverhör. Ihnen ging es in diesem Prozess um mehr als die juristische Bewertung der Tat. Sie wollten die gesamtgesellschaftliche Bedeutung des Anschlags herausstellen: dass antisemitische und rassistische Überzeugungen weit verbreitet sind und die Sicherheitsbehörden mit einem Täter wie Stephan B., der sich im Netz radikalisiert hat, überfordert zu sein scheinen.

Schliesslich war es die Expertin Karolin Schwarze, die auf Ladung der Nebenklage zumindest einige Leerstellen im Bereich Imageboards füllen konnte. Anders als die Polizei hatte sie Screenshots von Kommentaren zum Attentat von Halle gemacht. Vor Gericht dokumentierte sie, wie die anfängliche Hoffnung auf einen Anschlag mit möglichst vielen Toten auf den Imageboards in Spott und Häme für Stephan B. umschlug. Er wurde beschimpft, jemand forderte, ihn «ins Gas» zu schicken. Als Strafe für sein Versagen. Stephan B. war Teil einer Community, die anderen den Tod wünscht. Nach dem Anschlag forderte sie den seinen.

Stephan B. hat einem Psychologen mal gesagt, er ziehe die Hinrichtung einer langjährigen Haftstrafe vor. Vielleicht offenbarte er damit einen weiteren Einblick in die krude Gedankenwelt, in der er sich verfangen hat – vielleicht steckt in der Aussage aber auch Furcht vor dem Schicksal, dass ihm jetzt droht: Sobald das Urteil rechtskräftig ist, wird B. weggesperrt. Man wird ihn vergessen. Kevin Schwarze, Jana Lange und all die anderen nicht.