
Normalität statt Ausnahmezustand, das hatten wir uns für 2022 gewünscht. Nach zwei Jahren Pandemie schien das Coronavirus denn auch endlich etwas von seinem Schrecken verloren zu haben und der Weg zurück in ein Leben ohne Einschränkungen Realität zu werden.
Doch dann kam alles anders.
Am 24. Februar begann die russische Invasion in der Ukraine. Plötzlich war Krieg – mitten in Europa. Fortan dominierten Bilder von bombardierten Städten und verzweifelten Menschen zwischen Trümmern oder in langen Schlangen an den Grenzen zu den Nachbarländern die Medien. Mit ihnen holte uns eine längst überwunden geglaubte Zeit ein. Mehr als 20 Jahre nach dem Jugoslawienkrieg hatten wir uns in Europa in Sicherheit gewähnt. Nun war der Traum vom ewigen Frieden jäh geplatzt.
Die wachsende Bedrohung durch Russland trieb auch uns Schweizerinnen und Schweizer um. Nach den Corona-Tests wurden nun die Jodtabletten in den hiesigen Apotheken Mangelware.
Wie schnell Fürsorge sich aufbraucht, das hat uns die Corona-Pandemie vor Augen geführt.
Gleichzeitig wurde unsere Gesellschaft von einer Welle des Mitgefühls erfasst. Kantone und Gemeinden schufen innerhalb kürzester Zeit Unterbringungsmöglichkeiten für Kriegsflüchtlinge und stampften Spendensammlungen aus dem Boden. Im Eilzugstempo wurden Deutschklassen geschaffen und zusätzliches Unterrichtspersonal rekrutiert.
Aber auch in der Bevölkerung rückte man im wahrsten Sinne des Wortes zusammen. Unzählige Familien öffneten ihre Herzen und Türen für die vom Krieg Vertriebenen. So auch bei uns am Zürichsee. In Erinnerung bleibt etwa jene Wädenswilerin, die ihrem ehemaligen Au-pair aus der Ukraine die Flucht ermöglichte. Oder jener Küsnachter, der 24 krebskranke Kinder sowie Geschwister, Mütter und Grossmütter an den Zürichsee holte. Das ist gelebte Solidarität, die grosse Anerkennung verdient.
Ausruhen dürfen wir uns aber nicht. Wie schnell Fürsorge sich aufbraucht, das hat uns nicht zuletzt die Corona-Pandemie vor Augen geführt. Auch hier zeigte sich anfangs ein grosser Zusammenhalt, für den wir uns selbst lobten. Mit zunehmender Dauer der Ausnahmesituation wich die Solidarität aber Misstrauen und Aggressivität.
Hilfe für andere bedeutet immer auch Hilfe für die Gemeinschaft.
Auch die Unterstützung für die Ukraine bröckelt bereits. Das belegen repräsentative Bevölkerungsbefragungen des grössten Schweizer Meinungsforschungsinstituts Link. Gaben im Juni noch 82 Prozent an, sie würden die Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine befürworten, waren es Ende November noch 78 Prozent.
Weshalb ist das so? Der Krieg betrifft längst nicht mehr nur die Ukraine. Die Auswirkungen wie der drohende Energiemangel und die steigende Inflation sind auch für uns Schweizerinnen und Schweizer spürbar. Einer Umfrage des Vergleichsdiensts Comparis zufolge erwartet jede vierte Person eine Verschlechterung der persönlichen finanziellen Situation für 2023. So drohen die eigenen Sorgen die Fürsorge zu verdrängen.
Doch gerade jetzt, wo so viele Menschen Sorgen und Ängste haben, weil so vieles ungewiss ist, sollten wir füreinander da sein. Die Aufgaben, vor denen unsere Gesellschaft steht, sind gewaltig und nur als Einheit zu bewältigen.
Stehen wir also zusammen und zeigen uns solidarisch mit jenen, denen es noch schlechter geht. Denn Hilfe für andere bedeutet immer auch Hilfe für die Gemeinschaft. Eine Gemeinschaft, der wir alle angehören.
Im Namen der gesamten Redaktion der «Zürichsee-Zeitung» danke ich Ihnen herzlich, liebe Leserinnen und Leser. Für Ihre wertvolle Treue und Ihre so wichtige Bereitschaft, mitzudenken und mitzudiskutieren. Stossen wir kräftig und zuversichtlich an: Wir wünschen Ihnen allen ein glückliches und gesundes neues Jahr!
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Gedanken zum Jahreswechsel – Gerade jetzt sollten wir füreinander da sein
Krieg, Inflation, Corona, Ressourcenknappheit, Klimaerwärmung: Die Welt ist unvorhersehbarer denn je. Das schürt Ängste und Sorgen. Treten wir ihnen gemeinsam entgegen.