
Wer einen Handwerker oder eine Handwerkerin braucht, weiss, wo Fachkräftemangel herrscht. Handwerk hatte früher einmal goldenen Boden, wurde später oft abgewertet und gewinnt nun endlich wieder an Anerkennung.
Der heutige Mangel steht dennoch für ein Problem mit weitreichenden Folgen: Wenn auf der Baustelle einzelne Fachleute fehlen, kommen ganze Bauprojekte zum Stehen. Wenn dadurch Bau und Unterhalt teurer werden, spüren dies gerade auch die Geringverdienenden. Ihre Wohnkosten sind vor allem durch Arbeits- und Materialaufwand bestimmt, während jene der Gutsituierten vermehrt durch die Lage und den Bodenpreis getrieben sind.
Dass die Schweiz bis heute so vehement an den flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit (FlaM) festhält, ist eigentlich nur schwer verständlich. Statt das Entsenden von Arbeitskräften aus dem umliegenden europäischen Ausland mit bürokratischen Hürden zu erschweren, sollten wir genau das Gegenteil tun. Es liegt im Interesse der Schweiz, den Marktzugang für ausländische Arbeitskräfte gezielt zu erleichtern. Profitieren würde davon gerade auch das einheimische Gewerbe. Flexibel einsetzbare ausländische Handwerksbetriebe helfen stillstehende Bauprojekte zu deblockieren.
Auch wer vor allem aus sozialpolitischen Gründen felsenfest hinter den flankierenden Massnahmen steht, sollte die eigene Position neu evaluieren. Schliesslich sind die FlaM heute mitverantwortlich dafür, dass die Lebenshaltungskosten von Geringverdienenden überproportional steigen. Das ist unsozial.
Der europaweite Wettbewerb um die qualifizierten manuellen Arbeitskräfte hat eben erst begonnen.
Diesem Umstand wurde bislang zu wenig Rechnung getragen, denn die sozialpolitische Debatte zu den «Flankierenden» drehte sich hauptsächlich um Löhne und Lohndumping. Doch auch hier bestehen Zerrbilder, die der heutigen Realität nicht mehr entsprechen. Fast überall in Europa herrscht heute ein Mangel an Handwerkerinnen und Handwerkern.
Nicht von ungefähr wird es für Schweizer KMU immer schwieriger, Arbeitskräfte etwa aus Portugal oder Italien zu rekrutieren. Besonders im benachbarten süddeutschen Raum, in Vorarlberg oder auch in der Lombardei haben die Gewerbetreibenden gut gefüllte Auftragsbücher, und das Lohnniveau steigt. Der allerbeste Lohnschutz in dieser Branche ist der europaweit ausgetrocknete Arbeitsmarkt. Natürlich sind Baustellenkontrollen weiterhin nötig – diese können jedoch stichprobenmässig und ohne Voranmeldung für in- und ausländische Firmen gleichermassen geschehen.
Mit der anstehenden Verrentung geburtenstarker Jahrgänge und der anhaltenden Zunahme tertiärer Bildungsabschlüsse wird sich der Handwerkermangel in Zukunft weiter verschärfen. Dabei leiden die manuellen Berufe nicht nur unter dem oft kritisierten Drang ins Gymnasium. Handwerk ist anstrengend und kräftezehrend. Viele Junge, die es nicht an eine Mittelschule schaffen, ziehen deshalb eine kaufmännische oder eine andere Schreibtischlehre vor. Dies, obwohl gerade im kaufmännischen Bereich mit der Digitalisierung viele Stellen wegfallen werden.
Handwerkliche Tätigkeiten lassen sich weder wegdigitalisieren noch ganz in ein Drittland auslagern. Ganz nebenbei liesse sich mit der Bereitschaft zum Abbau der flankierenden Massnahmen gleich auch noch ein grosses Hindernis für ein neues Abkommen mit der EU aus dem Weg räumen. Dass die Schweiz dabei aus purem Eigeninteresse verhandlungs- und kompromissbereit werden könnte, müssten wir denen in Brüssel noch nicht einmal verraten. Deshalb: Pssst! Nicht weitersagen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Kolumne von Michael Hermann – Gegen den flankierten Arbeitskräftemangel
Statt das Entsenden von Arbeitskräften aus dem europäischen Ausland mit bürokratischen Hürden zu erschweren, sollten wir genau das Gegenteil tun. Denn der Fachkräftemangel legt nicht nur Baustellen still, sondern treibt auch die Preise in die Höhe.