Junge Stimmen wechseln zwischen Arien und Wortgefechten
Das Ensemble Operella begeisterte am Samstagabend das Premierenpublikum in der Heubühne mit «Noch eine Entführung ...» nach Mozarts «Entführung aus dem Serail» und hervorragenden jungen Stimmen.

«Zum ersten Mal haben wir eine Mozart-Oper gewählt und uns damit richtiggehend selber beschenkt», schrieben Corina Gieré (musikalische Leitung, Klavier) und Regina Heer (Inszenierung, Dramaturgie, Bühne) im Programm-Faltblatt der aktuellen Aufführung auf der Heubühne in Feldmeilen. Vor allem aber beschenkt Operella, die «Taschenoper», mit einem hochstehenden Musiktheater das Publikum. Die noch in der Ausbildung befindlichen Sängerinnen und Sänger zeigten unter der kundigen Leitung stimmlich wie darstellerisch eine grossartige Leistung.
Die drei Akte der Kerngeschichte aus Mozarts Vorlage sind hier raffiniert zwischen einen Prolog und Epilog eingebettet. Ersterer verrät zwar auch dem mit der Handlung nicht Vertrauten bereits, dass die vier Verliebten gerettet werden, denn er spielt in der Gegenwart, als die Liebespaare Konstanze und der spanische Adlige Belmonte Lostados (Nicole Wacker, Sopran, und Livio Schmid, Tenor) sowie deren Diener Blonde und Pedrillo (Valentina Russo, Sopran, und Ruben Banzer, Tenor) ehemalige Herrscherpaläste besichtigen.
Als dann zufällig eine Gittertür vor Konstanze ins Schloss fällt, wird diese in die Zeit vor fünf Jahren zurückversetzt, als sie in einem Harem gefangen gehalten wurde.
Komischste Szenen
Damals wurden die beiden Paare auf See überfallen und bis auf Belmonte alle verschleppt. Sie landeten bei Bassa Selim (Pascal Ganz, Bassbariton mit Sprechrolle), einem Spanier, der nach seiner Flucht aus der Heimat zum Islam konvertierte, jedoch christliche Werte und Weltanschauung nie ablegte. Von Konstanze angetan, führte er diese seinem Harem zu, jedoch ohne ihr Herz gewinnen zu können. Die Blonde schenkte er seinem Diener Osmin (Leo Bachmann, Bass), der auf noch mehr Widerstand stiess.
Nach einigen Monaten findet Belmonte die drei bei Selim. Um fliehen zu können, muss der stets und in diesem Fall zu Recht argwöhnische Osmin ausgeschaltet werden, was Pedrillo mit Schlafmittel im Wein gelingt. Die Szenen, die sich zwischen den beiden so unterschiedlichen, aber gleichermassen brillant dargestellten Figuren abspielen, gehören zu den komischsten des Singspiels, das immer wieder mit Wortwitz und Situationskomik aufwartet.
In den Rollen aufgegangen
Leo Bachmann geht in der Rolle des berauschten Osmin derart auf, dass ihm ein Rülpser ebenso leicht und perfekt getimt über die Lippen kommt wie jeder andere Einsatz. Leider erwacht Osmin viel zu früh und vereitelt die Flucht. Er sieht die vier schon am Galgen, als er sie Selim vorführt. Doch dieser überrascht nicht nur seinen Diener, sondern vor allem die Gefangenen mit einem Entscheid. Mit den Worten: «Wen man durch Wohltun nicht für sich gewinnen kann, den muss man sich vom Halse schaffen» entlässt er die vier in die Freiheit. Der Kreis schliesst sich in der Gegenwart mit dem Ende des dreiaktigen Flashbacks von Konstanze.
Wunderschöne Arien wechseln sich mit hitzigen Wortgefechten ab, die unglaublich Tempo machen und den Akteuren alles abverlangen – besonders wenn die beiden Paare gleichzeitig in verschiedenen Melodien streiten. Jede Rolle ist optimal besetzt und wird ebenso dargestellt. Speziell ist die des Selim, der lediglich aus dem Off mit leicht blechern verzerrter Stimme zu hören und auf der Bühne nur durch kaltes rosa Licht präsent ist. Pascal Ganz, den Mann dahinter, bekommt das Publikum erst beim Schlussapplaus zu Gesicht.
Auch spontan professionell
Das multifunktionale Bühnenbild von Flurina und Thomas Trachsel mit schiebbaren Wänden und Gittertüre ermöglichte einen perfekten Spielfluss. Erwähnung verdienen auch die Kostüme, die Eva Ott extra für diese Produktion genäht hat.
Die Professionalität, mit welcher die Darsteller auftreten, zeigt sich überdies nicht nur in ihren Stimmen, sondern auch in Situationen, wie sie Livio Schmid als Belmonte erlebte. Das Zubinden eines aufgegangenen Schnürsenkels während einer Arie dürfte kaum zur Handlung gehören, fiel aber aufgrund der natürlichen Reaktion nicht auf. Oft sieht man Grosses eben auch in Kleinem.
Weitere Aufführungen: Mittwoch, 12., und Freitag, 14. September, 19.30 Uhr, Sonntag, 16. September, 17 Uhr, Dienstag, 18., und Donnerstag, 20. September, 19.30, Samstag, 22. September, 18 Uhr, und Sonntag, 23. September, 17 Uhr (Derniere). General-Wille-Strasse 169, Feldmeilen. Vorverkauf und Reservationen: www.ateliertheater-meilen.ch und Papeterie im Dorf, Herrliberg, 044 915 25 66 (Dienstag bis Samstag von 9 bis 12 Uhr). (Zürichsee-Zeitung)
Erstellt: 09.09.2018, 18:06 Uhr
25 Jahre Ateliertheater Meilen
Sie bringen Theaterluft nach Meilen
Am Anfang des Ateliertheaters Meilen (ATM) stand das Zusammentreffen von Lilo Rieder und Marco Badilatti mit Annegret Trachsel. Die beiden Zumiker Amateurschauspieler und Trachsel, welche einst gemeinsam mit ihrem Mann Thomas die Heubühne eingerichtet und als Kinder- und Jugendtheater geführt hatte, beschlossen, einen Theaterverein zu gründen. Dieser sollte anspruchsvolles Amateurtheater in hochdeutscher Sprache auf die Bühne bringen. Unterstützung erhielten sie dabei von der bekannten Meilemer Familie Wille sowie der Familie Picenoni, den Eigentümern des Landguts Mariafeld in Feldmeilen. Dieses erwies sich alsbald als idealer Aufführungsort für Stücke.
Am 1. Februar 1993 wurde schliesslich das ATM gegründet, und im April begannen die Proben für die erste Eigenproduktion. Dabei handelte es sich um das Stück «Ein Inspektor kommt» von John W. Priestley. Jedes Jahr zeigten die Schauspieler nun eine bis zwei Eigenproduktionen mit 12 bis 20 Vorstellungen. Neben dem Mariafeld in Feldmeilen dient auch die Heubühne als Aufführungsort. Bald wurde das ATM über die Region hinaus bekannt.
Mit Kulturpreis geehrt
2003 feiert der Verein mit einem dreitägigen Mini-Theaterspektakel sein zehnjähriges Bestehen. Im gleichen Jahr gründeten Annegret Trachsel und die Pianistin Corinna Gieré die Kinder- und Jugendtheatergruppe «La Scaletta – die junge Bühne im ATM». Unter der Leitung von Gieré und Regina Heer entstand zudem die Gruppe «Operella – die Taschenoper». Gieré schaffte es mit ihren Kontakten immer wieder, Studienabgänger oder Studierende von nationalen und internationalen Musikhochschulen zu engagieren. Ein Höhepunkt in diesen 25 Jahren dürfte die Verleihung des Kulturpreises der Mittwochgesellschaft Meilen im Jahr 2008 sein. Gewürdigt werden dabei die «grossen und jahrelangen Verdienste um das Kulturleben am Zürichsee» der Theaterpädagogin. Zum 15- und 20-jährigen Bestehen wurden die legendären Stücke «Ein Sommernachtstraum» und «Cyrano de Bergerac» gezeigt – unter dem Sternenhimmel.
Am 1. September 2018 feierte der Verein nun sein 25-Jahr-Jubiläum mit einem grossen Theaterfest im Mariafeld. Witzige Idee: Wer wollte, konnte aus einer Gedichte-Jukebox für zwei Franken eines von 35 Gedichten kaufen, das ein Ensemble-Mitglied vortrug. Im letzten Vierteljahrhundert hat das Theater 63 Eigenproduktionen auf die Beine gestellt. Ein wichtiger Punkt ist dabei, dass der Eigenfinanzierungsgrad gemäss Auskunft des Vereins 40 Prozent beträgt. Trotzdem ist das ATM noch auf finanzielle Unterstützung durch die öffentliche Hand, von Sponsoren sowie Vereinsmitgliedern angewiesen.
Neben dem Schauspielensemble und der Taschenoper Operella hat sich insbesondere La Scaletta, die Theatergruppe für den Nachwuchs, einen Namen gemacht. Über 100 Kinder sind durch diese spielend, singend und improvisierend ins Theaterleben eingestiegen. Ab Januar geht es jeweils los für die Jugendlichen bei La Scaletta. Nach den Sportferien werden die Rollen verteilt und während der Frühlingsferien wird das Stück zur Bühnenreife gebracht. Während die jungen Schauspieler im Frühling mit «Romeo und Julia» auf der Bühne standen und die Taschenoper aktuell Premiere gefeiert hat, steht das diesjährige Stück des Ensembles noch aus. Im November wird das Ensemble Georg Büchners «Leonce und Lena» aufführen. (red)
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