Finken kaufen mit dem Schatz
Eine Kolumne von Regula Lienin.
Die S-Bahn fährt ein, hält, die Tür öffnet sich. Ein Bub macht reflexartig einen Schritt vorwärts. Seine Mutter, die ihn an der Hand hält, stoppt ihn. «Wir warten mit dem Einsteigen, bis die Leute ausgestiegen sind, Schatz.» Im Innern des Zugs setzen sich die beiden ins Abteil neben mir. Der vielleicht Vierjährige wirkt aufgeweckt, stellt Fragen. «Schatz, wir müssen nur eine Station fahren.»
Nach diesem Muster setzt sich ihr Dialog fort. Die Frau hängt jeder Aussage ein «Schatz» an. Die Wiederholung irritiert, noch mehr die Wahl des Kosenamens. Müsste das Kind nicht eher Spatz oder Maus genannt werden? Oder mit einer verniedlichenden Form seines Eigennamens? Schatz da, Schatz dort hat selbst bei Erwachsenen einen merkwürdigen Beigeschmack. Wie die Frau wohl ihren Mann nennt, überlege ich. Und was macht dieses «Schatz» mit dem Kind?
Ich erinnere mich an den Arbeitskollegen von einst, der seine Frau stets als Prinzessin bezeichnete. Auch ein Fall, der bei mir das Kopfkino einschaltete, wobei ich nicht einmal wusste, ob er sie auch so ansprach. Egal, ich hatte dennoch eine konkrete Vorstellung von seiner Frau und der Beziehung, die sie führten. Übernamen können ja richtig peinlich sein. Wie derjenige beispielsweise, den mir mein Freund gegeben hat. In den eigenen vier Wänden funktioniert er. Aber nicht auszudenken, er würde ihn dauernd öffentlich nennen! Jetzt verlassen Mutter und Kind das Abteil. «Komm Schatz, wir gehen Finken kaufen», höre ich sie noch sagen.
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