Türkischer Chefredaktor ermordet«Er war ein ausgesprochen mutiger Journalist»
Güngör Arslan prangerte im türkischen Izmit Korruption und die Mafia an. Jetzt wurde der Reporter und Zeitungsbesitzer ermordet.

Der Mord an einem Lokaljournalisten hat erneut gezeigt, wie gefährdet türkische Journalisten sind. Güngör Arslan, Besitzer und Chefredaktor des Internetportals «Ses Kocaeli», war am Samstag in der westanatolischen Kleinstadt Izmit vor dem Redaktionsgebäude niedergeschossen worden und im Spital seinen Verletzungen erlegen. Obwohl ein vorbestrafter Kleinkrimineller als angeblicher Täter noch am selben Tag festgenommen wurde, bleiben Zweifel an der offiziellen Darstellung: Arslan, ein erfahrener Investigativjournalist, hatte wiederholt über Korruption in der örtlichen Bauindustrie berichtet und dabei Vorwürfe gegen den Oberbürgermeister von Izmit erhoben. Arslan war wegen seiner Arbeit früher mehrfach inhaftiert worden, kam aber vor Gericht immer wieder frei.
Industriezentrum am Marmarameer
Der Oberbürgermeister, der genau genommen der Provinzbürgermeister der Provinz Kocaeli ist, gehört zur Regierungspartei AKP von Staatschef Erdogan. Die Stadt Izmit selbst, die von der Opposition regiert wird, zählt zur Provinz Kocaeli. Ein Bürgermeister hat in der Türkei weit mehr Macht als der eigentliche Bürgermeister einer Stadt. Izmit, das antike Nikomedia, ist rund 100 Kilometer von der Metropole Istanbul entfernt und ein wichtiges Industriezentrum am Marmarameer.
Der ermordete Investigativjournalist Arslan hatte dem Oberbürgermeister von Kocaeli in seinem letzten Artikel vorgeworfen, einem Bauunternehmen mittels manipulierter Ausschreibungen einen Grossauftrag über den Bau von rund 500 Häusern zugeschanzt zu haben. Solche einträglichen Aufträge würden in der Provinz Kocaeli und der Stadt Izmit stets an dieselben Firmen vergeben, so der Journalist. Lokaljournalisten aus Izmit verwiesen gegenüber dieser Zeitung darauf, dass Arslan auch immer wieder über lokale Mafiagruppen geschrieben hatte und ebenso ein Opfer des organisierten Verbrechens geworden sein könnte.
«Manipulierte Ausschreibungen»
Der 1962 geborene Arslan hatte allerdings immer wieder über Korruption in den Behörden von Kocaeli berichtet. In seinem letzten Artikel heisst es dann auch: «In meinem Journalistenleben habe ich Dutzende, ja Hunderte solcher manipulierten Ausschreibungen gesehen.» Der Oberbürgermeister und der betroffene Bauunternehmer, um den es in dem betreffenden Bericht gehe, seien persönlich befreundet.

Der Investigativreporter war schon früher massiv bedroht worden. Auf das Gebäude, in dem sich die Redaktion seines Internetportals «Ses Kocaeli» befindet, war nach Berichten lokaler Medien früher einmal geschossen worden. Im vergangenen Jahr sei der Journalist auf offener Strasse von Unbekannten angegriffen und geschlagen worden. Arslan war im Zusammenhang mit seiner Berichterstattung 2021 wegen angeblicher Erpressung für ein halbes Jahr inhaftiert, dann aber von einem Gericht freigesprochen worden.
Rasche Aufklärung gefordert
Auch nach dem gescheiterten Militärputsch vom Juli 2016 war Arslan festgenommen, dann aber vor Gericht ebenfalls freigesprochen worden. Weil seine Zeitung «Bizim Kocaeli» damals geschlossen worden war, gründete er später das Internetportal «Ses Kocaeli».
Köksal Tüfekcioglu, einer seiner Izmiter Kollegen, sagte über den Ermordeten: «Er war ein ausgesprochen mutiger Journalist.» Die türkische Sektion von Reporter ohne Grenzen forderte eine rasche Aufklärung des Mordes. Die Berufsorganisation erinnerte an den im vergangenen Jahr ermordeten Radiomoderator Hazim Özsu aus Bursa – angeblich von einem Hörer, der seine Kommentare nicht mochte. «Wenn Güngör Arslan wegen seines Berufs getötet wurde», so Reporter ohne Grenzen, «dann zeigt es, dass die Türkei angesichts des seit Jahren aufgeheizten politischen Klimas für Journalisten kein sicherer Ort mehr ist.»
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