
Der Schriftsteller Frank Schätzing weiss auch vernichtende Kritik mit eleganter Ironie auszusprechen: «Es pilchert mehr, als es schwärmt», sagte er der Zeit über die Verfilmung seines Welterfolgs «Der Schwarm». Das Meeresdrama ist ein Öko-Thriller mit apokalyptischen Zügen über eine bedrohte Natur, die zurückschlägt, 1000 Seiten dick, millionenfach in aller Welt verkauft; ein Buch mit starken Figuren, starker Handlung und einer noch stärkeren Botschaft.
«Pilchern» spielt auf die Kitschorgien an, die im Fernsehen gern am Sonntagabend laufen und die, freundlich formuliert, werkgetreue Verfilmungen der Das-Herz-schmerzt-und-doch-siegt-die-Liebe-Bücher von Rosamunde Pilcher sind. Werktreue wiederum vermisst Schätzing in dem öffentlich-rechtlichen Bemühen, seinem Epos durch die achtteilige Serie gerecht zu werden, die auch auf SRF läuft.
Natürlich, Fans und erst recht der Autor müssen manche Änderungen nicht mögen und könnten sich zum Beispiel wünschen, die Produzenten hätten ebensolche Mühe auf die Vertiefung der Hauptfiguren gelegt wie darauf, das Ensemble möglichst divers zu besetzen.
Leser machen sich ihre eigenen Bilder, vielleicht gefällt ihnen der Film, vielleicht nicht, objektive Kriterien gibt es kaum.
Andererseits zeigt der Fall, dass Bücher zwangsläufig komplexer und inhaltlich dichter sind als ihre filmischen Adaptionen. Notgedrungen müssen diese vieles fortlassen und sich den Vorwurf einhandeln, im Vergleich oberflächlich, gar verfälschend zu sein. Eines der Gegenbeispiele stammt aus der Populärkultur. «Der Herr der Ringe» brauchte immerhin drei Kinofilme von vielen Stunden Länge, um selbst unter hartleibigen Fantasy-Fans denselben Kultstatus zu erreichen wie J. R. R. Tolkiens Roman.
Letztlich spiegelt der Streit um den «Schwarm» aber ein Missverständnis wider, das so alt ist wie der Film selbst. Der Wert einer Literaturverfilmung kann nicht darin liegen, das Buch möglichst 100-prozentig abzufilmen, weil dies gar nicht möglich ist. Alle Leserinnen und Leser machen sich vom Buch ihre eigenen Bilder, vielleicht gefällt ihnen der Film dann oder auch nicht, objektive Kriterien gibt es kaum.
Die Verfilmung muss also auch ein Kunstwerk aus eigenem Recht sein und Freiheiten wagen dürfen. Dennoch hat sie eben deshalb heute dasselbe Akzeptanzproblem wie einst, als die Schriftstellerin Virginia Woolf Leinwandumsetzungen schlicht «Parasiten» nannte. Sogar lange vor der Erfindung des Films befand Goethe über Adaptionen ungnädig: Viel zu oft werde «nach Lesung eines guten Romans gewünscht, den Gegenstand auf dem Theater zu sehen; und wie viel schlechte Dramen sind seither entstanden».
Man kann den Machern nur begrenzt vorwerfen, das Buch «gepilchert» zu haben.
So wird wohl immer subjektiv bleiben, was eine gute Verfilmung ist, vielleicht mit einer Ausnahme: der Botschaft des Buchs. Wird sie geändert oder gar ganz fortgelassen, steigt die Gefahr des Misslingens dramatisch. Zwei Filme nach Erich Maria Remarques Meisterwerk «Im Westen nichts Neues» – jener von 1930, der die Weimarer Republik aufwühlte, und der nun oscarnominierte von 2022 – sind trotz aller Verkürzungen das, was das Buch war: eine eindringliche Anklage gegen den Wahnsinn des Krieges.
Und betrachtet man in diesem Sinn die epischen Bilder des «Schwarms» aus einer Welt, in der sich die Wale wehren, dann kann man den Machern den Vorwurf doch nur begrenzt machen, das Vorbild «gepilchert» zu haben. Denn wir Menschen sind es, welche die Natur bedrohen, und wir werden die Folgen zu tragen haben.
«Der Schwarm» läuft diese Woche auf SRF 1, nächste Folge: Donnerstag, 20.10 Uhr. Alle Folgen auch online in der SRF-Mediathek.
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Kommentar zu «Der Schwarm» – Eine Verfilmung braucht Freiheit
Der Autor Frank Schätzing kritisiert die TV-Version seines Romans. Aber es ist ein Fehler, solche Produktionen nicht als Kunstwerke aus eigenem Recht zu sehen.