WM-Qualifikation Schweiz - ItalienEin mutloser Auftritt kostet die gute Ausgangslage fürs WM-Ticket
Zuerst ängstlich, dann ultradefensiv: Die Schweizer Fussballerinnen verlieren vor der Thuner Rekordkulisse gegen Italien 0:1.

Vielleicht ist es am Schluss so etwas wie Karma. Es läuft die 82. Minute, als Schiedsrichterin Rebecca Welch Freistoss für Italien pfeift, weil Sandy Maendly ihr Gesicht schützen will und ihr der Ball aus kurzer Distanz an den Arm geschossen wird. Maendly regt sich auf – und reklamiert kurz darauf mit ihren Teamkolleginnen bei Welch. Denn dieser Pfiff hat Folgen, Cristiana Girelli schlenzt den Ball sehenswert zum 0:1 ins Tor.
«Dieses blöde Hands ärgert mich sehr», sagt Maendly nach Spielschluss. Die Augen sind feucht, der Frust gross – deutlich grösser als das Verständnis für die Schiedsrichterin: «Für mich war es ein sehr harter Pfiff.» Captain Lia Wälti habe auf dem Platz zuerst auch gedacht, es sei eher kein Hands, nach Studium der TV-Bilder ändert sie dann ihre Meinung: «Man kann es pfeifen.» Auf jeden Fall ist der Entscheid und vor allem seine Folge die Strafe für einen zögerlichen, fast schon ängstlichen Auftritt der Schweiz.
«Zu passiv», so beurteilt Ana-Maria Crnogorcevic den Auftritt ihres Teams. Und: «Am Schluss haben wir sie fast schon eingeladen, ein Tor zu erzielen.» Zwar beteuerten die Schweizerinnen vor der Partie, dass sie trotz der guten Ausgangslage auf Sieg spielen wollten, auf dem Platz ist davon aber wenig zu sehen. Ihr Spiel ist geprägt von vielen langen Bällen und wenig Konstruktivem. «Wir laufen uns vorne fast zu Tode», resümiert Géraldine Reuteler zur Pause im SRF. Für die Stürmerin ist es ein schwieriges Startelf-Comeback, 14 Monate nach ihrem Kreuzbandriss.
Mutlose Schweiz, ideenloses Italien
Nur knapp zehn Minuten spielen die Schweizerinnen mit; in dieser Phase trifft Noëlle Maritz zum vermeintlichen 1:0, beim tollen Zuspiel von Lia Wälti steht die Rechtsverteidigerin knapp im Offside. Das zwischenzeitliche Hoch endet mit einer Balleroberung der omnipräsenten Wälti, einem Pass auf Ana-Maria Crnogorcevic, deren Distanzschuss Italien-Torhüterin Laura Giuliani zu einer starken Parade zwingt.
Das reicht, um die Frauen-Nationalteam-Rekordkulisse von 6281 Fans lautstark jubeln zu lassen. Das ist es aber dann auch an Schweizer Offensivaktionen, ansonsten ist es Italien, das die Partie dominiert. Die gute Nachricht aus Schweizer Sicht ist, dass den Italienerinnen lange Zeit wenig Produktives einfällt. Nur selten ist Gaëlle Thalmann im Schweizer Tor gefordert, und wenn, dann erledigt sie ihren Job mit der Sicherheit einer 94-fachen Nationalspielerin.
Dennoch bleibt es auch mit zunehmender Spieldauer dabei, dass sich die Schweiz kaum über die Mittellinie traut. Es ist vor allem dieser mutlose Auftritt, der Wälti besonders enttäuscht, eine Erklärung dafür hat aber auch der Schweizer Captain nicht: «Es wäre viel einfacher zu akzeptieren, wenn die Gegnerinnen ganz klar besser wären als wir.»

Vor der Begegnung deutete Trainer Nils Nielsen noch an, höchstens in den letzten zehn Minuten die totale Defensive auszurufen, sollte es der Spielstand verlangen. In Wahrheit bringt er schon eine Viertelstunde vor Schluss mit Julia Stierli eine fünfte Verteidigerin, nimmt dafür Flügelspielerin Sow vom Feld. «Ab da hat die Zuordnung nicht mehr gestimmt», findet Sow. Naturgemäss sieht das Nielsen anders, mit Linksfuss Stierli wollte er nicht nur gegen vier italienische Stürmerinnen Überzahl schaffen, sondern auch die bis zu diesem Zeitpunkt mangelhafte Spieleröffnung über die linke Seite verbessern.
Plötzlich müssen sie anrennen
Das geht schief, die zur Pause eingewechselte Svenja Fölmli ist als einzige Stürmerin chancenlos, wenn es mal darum geht, den Ball zu halten und für etwas Entlastung zu sorgen. Das ermöglicht den Italienerinnen, den Druck noch mehr zu erhöhen, die Schweizerinnen noch nervöser zu machen. Der Abnützungskampf ist längst eine Abwehrschlacht.
Dann kommt der verhängnisvolle Pfiff. Das Tor. Der Nackenschlag. Plötzlich ist die Schweiz gefordert, sie wirft alles nach vorne. Rahel Kiwic, ein Abwehrturm, der so lange Zeit in diesem Spiel alles hinten wegarbeitet, greift zuvorderst an. Das Prinzip Hoffnung dominiert, in der Thuner Stockhorn Arena wird es nochmals richtig laut, als die Schweizerinnen tief in der Nachspielzeit einen Eckball schlagen dürfen.
Und tatsächlich kommt Kiwic nochmals zum Kopfball – doch es bleibt dabei. Bei der Hoffnung, beim 0:1. Es ändert sich einzig die Tabellensituation: Das Schweizer Nationalteam rutscht auf den zweiten Platz ab und wird wohl eine mühsame Barrage überstehen müssen, will es bei der WM 2023 in Australien und Neuseeland dabei sein.
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