Entlassung von Lucien FavreEin letzter Gruselschocker brachte das Aus
Die Kritik an Lucien Favre wurde lauter und lauter – und war nach einem 1:5 gegen Stuttgart nicht mehr auszuhalten. Selbst seine Spieler rebellierten hörbar.

Die Entlassungsschreiben hatten am frühen Samstagabend schon Marco Reus und Mats Hummels formuliert. Wer aufmerksam zuhörte, wie deutlich die beiden Captains von Borussia Dortmund nach dem 1:5-Heimdebakel gegen den Aufsteiger VfB Stuttgart vor den Kameras die Zustände beim BVB kritisierten, der musste kein Hellseher sein, um zu ahnen, was kommen würde. Am Sonntag, gegen zwei Uhr nachmittags, wurde die Nachricht dann lanciert: Lucien Favre ist nicht länger BVB-Trainer.
Die Nachfolge wurde branchenüblich geklärt. Assistenztrainer Edin Terzic soll ab sofort den sportlichen Scherbenhaufen zusammenkehren. Ihm werden Nachwuchstrainer Sebastian Geppert und der einstige Profi Otto Addo, der bei der Borussia die Top-Talente betreut, zur Seite gestellt.
Überraschend kommt der Rauswurf von Favre trotz aller Vorzeichen dann doch. Denn seit zwei Jahren sickerte immer und immer wieder durch, wie unzufrieden man in Dortmund mit der zaudernden, wenig mitreissenden Art des Schweizers war. Zudem irritierten seine Matchpläne und die oft arg vertüftelten Taktiken, die daraus resultierten. Als Favre in seiner ersten Dortmunder Saison durchstartete und der Club mit erstaunlichen neun Punkten Vorsprung Herbstmeister wurde, dann aber in der Rückrunde elf Punkte auf Titelverteidiger FC Bayern verlor, stand der Trainer bereits im Sommer 2019 vor der Entlassung.
Doch vor einer Trennung waren Dortmunds Entscheider, Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke und Sportdirektor Michael Zorc, immer wieder zurückgeschreckt. Zu frisch waren wohl noch die Wunden nach den schmerzlichen Rauswürfen der Trainer Thomas Tuchel und Peter Bosz, die im Sommer und im Herbst 2017 für viel Unruhe in der deutschen Fussballlandschaft gesorgt hatten.
«Jeder weiss, dass wir eine Mannschaft sind, die nicht gut verteidigen kann.»
An diesem Samstag aber hatten die beiden Meinungsführer in der Mannschaft schon im Voraus Klartext geredet. Marco Reus liess keine Antworten aus: «Jeder weiss, dass wir eine Mannschaft sind, die nicht gut verteidigen kann. Das muss man so klar sagen. Wenn wir die nächsten drei Spiele so spielen, holen wir nichts mehr», prangerte der Angreifer an. Mats Hummels, Ersatz-Captain und Chef-Rhetoriker, holte noch weiter aus: «Wir versuchen immer, klein-klein durch enge Räume durchzuspielen. Das klappt in den seltensten Fällen. Wir haben dabei eine riesig hohe Ballverlustquote – zu besichtigen gegen Stuttgart bei fast allen Gegentoren.»
Und als ob das an Abrechnung mit den taktischen Gespinsten von Favre noch nicht gereicht hätte, fügte Hummels hinzu: «Es geht darum, Automatismen zu haben und sinnvollen Fussball zu spielen. Sinnvoll heisst: Risiken da, wo es angebracht ist, und nur da, wo es einen Ertrag gibt, wenn es klappt.» Dortmund hingegen wähle riskante Varianten in Zonen, wo sich Fehler im Spielaufbau folgenschwer auswirken. Und, so Hummels: «Wir haben generell zu wenig Tiefe im Spiel und machen uns gegenseitig die Räume zu eng.»

Diese Totalabrechnung mit dem, was ein Fussballlehrer zu verantworten hat, gleich nach dem Untergang gegen Stuttgart, erweckte den Anschein, als gäbe es da längst einen gewissen Konsens in der Mannschaft, dass es mit Favres Ideen keine Versöhnung mehr geben könne. Hoch auf der Haupttribüne, in den Clubräumen der Chefs, wurde offenbar wenig später schon der Schlussstrich gezogen. Die «beschämende Vorstellung», wie Reus es nannte, hatte Wirkung gezeigt. Erst mehr als zwei Stunden nach dem Abpfiff des Gruselschockers auf dem Rasen tauchte BVB-Chef Watzke im Umlauf der Haupttribüne auf. «Wir müssen analysieren», meinte Watzke da noch, «es war ein schwarzer Tag.»
Trainer Favre, so hört man, habe da schon gewusst, dass er entlassen ist. Am Sonntagnachmittag, beim angesetzten Training, war der 63-Jährige schon nicht mehr dabei. Eine Verabschiedung von seinen Spielern soll es nicht mehr gegeben haben.
Lucien Favre, der liebenswerte, in seiner skurrilen Art charmante Tüftler, konnte einem angesichts dieser messerscharfen Analysen seiner Führungsspieler schon ein wenig leidtun. Er selbst hatte nach dem Spiel von einer «Katastrophe» gesprochen, sich aber dann in seinen Statements verloren. Man habe «zu wenig Balleroberungen» gehabt, man sei «nicht geduldig genug» gewesen. Dabei hatten sich die Dortmunder Angriffsversuche zumeist schon gezogen wie Kaugummi. Und so ging es an Favres letztem Arbeitstag halt so wie an so vielen Spieltagen zuvor.
Der gewünschte Titel blieb aus
Favre wurde mit Dortmund zweimal Zweiter in der Bundesliga – aber in zwei Jahren, in denen die Bayern schwächelten, wenn auch auf hohem Niveau. In der vergangenen Saison wechselten die Münchner sogar ihren Trainer Niko Kovac, ironischerweise ebenfalls nach einer 1:5-Niederlage (gegen Eintracht Frankfurt). Der damalige Assistenztrainer Hansi Flick ersetzte Kovac – mit allseits bekanntem Ergebnis.
Favres Vizetitel in Dortmund werden intern eher als zwei verpasste Meisterschaften gewertet. Zweimal flog Dortmund unter Favre zudem im Achtelfinal aus dem deutschen Cup, ebenfalls zweimal im Achtelfinal aus der Champions League. Gegen die Bayern setzte es ausserdem regelmässig Niederlagen.
Zuletzt verlor die Mannschaft unter Favre sechs der letzten acht Heimspiele. «Die individuelle Klasse macht bei uns manchmal trotzdem den Unterschied», sagte Hummels noch. Sollte wohl heissen: Egal, wie falsch wir spielen, die Stärke des Kaders sorgt dafür, dass wir trotzdem oft gewinnen. Zuletzt aber nicht mehr: Gegen Köln hatte der BVB daheim die Partie schon ähnlich blamabel mit 1:2 hergegeben, in Frankfurt nur 1:1 gespielt und nun schon viermal in elf Spielen der jungen Saison verloren. In Spitzenspielen, aber gerade auch gegen vermeintlich mittelmässige Gegner, offenbarte sich oft die spielerische Stagnation und Verwirrtheit von Favres Hochbegabten.
Edin Terzic war bisher eher der Spiele-Erklärer der Mannschaft, der im Auftrag von Favre, meist auf Englisch, die Mannschaftsbesprechungen zu leiten hatte. Der 38-Jährige kommt aus dem benachbarten Menden im Sauerland, betreute aber als Assistent von Slaven Bilic schon Besiktas Istanbul und in Englands Premier League West Ham United. Der studierte Sportwissenschaftler wurde 2018 nach Dortmund zurückgeholt, wo er bereits von 2011 bis 2013 als Juniorentrainer und Spielerscout tätig war. Offenbar wird Terzic zugetraut, den Job dauerhaft zu bewältigen. Als Flick von Dortmund also gewissermassen.
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