Einsam an HeiligabendEin Festessen gegen die Melancholie
Für Alleinstehende sind die Weihnachtstage oft bedrückend – und nun fallen wegen Corona alle öffentlichen Feiern aus. Eine Stadträtin in Delsberg lässt darum Restaurants für diese Menschen kochen.

Ein gutes Hörbuch und ein Lachscanapé: Das genüge ihm, um einen glücklichen Abend zu verbringen, sagt Jérôme Corbat. Der unverheiratete Jurassier ist einsame Stunden gewohnt. Aber die Einsamkeit dieser Tage wird auch ihm zu viel. «Das letzte Jahr war ein schweres Jahr», sagt er. Er sei müde. Alle Leute seien müde. «Ich kann ja kaum Freunde sehen, und die Restaurants sind wegen der Corona-Pandemie auch noch geschlossen», sagt er.
Die Restaurants sind für Corbat fast lebenswichtig, denn der 58-Jährige ist blind. Unter Blinden gebe es exzellente Köche, betont er. Er selbst zähle leider nicht dazu. Darum speist er in seiner Heimatstadt Delsberg oft in Restaurants. Auf seinen Rundgängen durch die Gasthäuser ist er zu einem veritablen Feinschmecker gereift. Besonders rühmt er die Foie gras (Gänseleber), die Pintade (Perlhuhn) und den Café gourmand (Dessertvariation mit Café) in seiner Lieblingsbeiz La Bonne Auberge. Und er ist unendlich dankbar dafür, dass ein Bekannter trotz Covid-Pandemie am Mittwoch und Sonntag zu ihm nach Hause kommt und ihn bekocht. Sonst müsste er jeden Tag das Gleiche essen: ein Fertigmenü aus irgendeinem Supermarkt. Das tut er an den restlichen Tagen schon zur Genüge.
Künstler verteilen Essen
An Heiligabend wird Jérôme Corbat ebenfalls allein zu Hause essen. Wegen Corona. Normalerweise gehe er an Heiligabend zu seiner Schwester, aber diese feiere mit ihren Kindern, und mehr als zwei Haushalte sollten bekanntlich nicht zusammenkommen, führt der Jurassier aus. Also bleibe er zu Hause. Auf ein Weihnachtsmahl muss er trotzdem nicht verzichten.
Dafür sorgt Esther Gelso, Stadträtin von Delsberg. Die Politikerin von der Alternativen Linken hat in der Stadt Gastronomen angefragt, ob sie im Auftrag der Stadt Alleinstehenden und Einsamen kochen würden. Denn in diesem Jahr findet keine der offiziellen Feiern statt – wegen Corona.

Vier Restaurants machen bei der Aktion von Stadträtin Gelso mit. Kulturschaffende, Musiker und bildende Künstler werden die frisch zubereiteten Festmähler ausliefern. Sie erleben ebenfalls schwierige Zeiten und können einen kleinen finanziellen Zustupf gebrauchen.
Carte blanche für die Köche
Die Köche hätten eine Carte blanche, könnten also kochen, was sie wollten, sofern es nicht mehr koste als von der Stadt budgetiert, verrät Esther Gelso. Jérôme Corbat ist nicht wählerisch. Er sagt, er sei im Prinzip ein Allesesser. Eine Paella schmecke ihm genauso wie ein rotes Thai-Curry. Nur bei der japanischen Küche habe er aus essenstechnischen Gründen ein paar Probleme, witzelt er.
«Die schwierigsten Zeiten kommen für viele in einem oder zwei Jahren.»
Neben Jérôme Corbat haben sich 80 Alleinstehende für das offerierte Weihnachtsessen angemeldet. Eher ältere Leute, vor allem Frauen, aber auch eine alleinerziehende Mutter mit drei Kindern ist darunter. Natürlich seien in Delsberg an Heiligabend noch mehr Leute allein zu Hause, sagt Stadträtin Esther Gelso. Dennoch enttäuscht sie die Zahl der Anmeldungen nicht. Was zähle, sei die Geste gegenüber der Bevölkerung. Viele Leute könnten sich keine Weihnachten wie in vergangenen Jahren leisten, da die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie den Kanton Jura ganz besonders träfen, sagt Gelso. Die Löhne seien tiefer als im Rest der Schweiz. Würden Angestellte in Kurzarbeit gezwungen, lebten sie plötzlich am oder unter dem Existenzminimum. Sowieso habe es in den letzten Monaten viele Entlassungen gegeben. Die schwierigsten Zeiten kämen für viele in den kommenden ein oder zwei Jahren, so die Lokalpolitikerin.
Fröhlich sein und teilen
Ein Weihnachtsessen für Einsame kocht Esther Gelso auch bei sich zu Hause, und das schon seit Jahren. «Petit Noël des esseulés», ein kleines Weihnachtsfest für Einsame, nennt sie es. Auch in diesem Jahr lud sie via Facebook zu sich ein, aber beschränkte die Teilnehmerzahl auf acht Personen. Diese Tradition liege ihr am Herzen, sagt sie. Vor neun Jahren starb ihr Ehemann, mit dem sie die Festtagstradition einst ins Leben gerufen hatte. Heute ist sie Witwe und wäre an Heiligabend selbst allein zu Hause. Stattdessen begegnen sich nun Leute, die sich teilweise nicht kennen. Sie stelle nur zwei Bedingungen, sagt Gelso: Die Leute sollen fröhlich sein, und wenn sie Geschenke mitbringen, müssen alle am Geschenk teilhaben können. Was sie koche, sei immer eine Überraschung. Aber die Stimmung stets wunderbar.
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