
Giuseppe Gracia (54) ist immer für eine Überraschung gut. Nach seinem Abgang als Kommunikationschef des Bistums Chur im März ist der St. Galler auch aus der Kirche ausgetreten. Ein Schritt aus Überzeugung? Oder auch eine Marketingaktion, mit der der Secondo-Literat auf sein neustes Buch «Der Tod ist ein Kommunist – Ein Fiebertraum» aufmerksam machen will?
Das wäre durchaus plausibel. Denn Gracia versteht sich auf Selbstinszenierung. Obendrein ist er ein hervorragender PR-Stratege. Das hat er als Sprecher des reaktionären Bischofs Vitus Huonder viele Jahre unter Beweis gestellt. Er wusste genau, wann und wo er News platzieren, welchem Journalisten er den Primeur zuschanzen musste. Und mit dem ungeliebten Generalvikar Martin Grichting heckte er so manchen kirchenpolitischen Schachzug aus.
Den liberalen Grundwerten verpflichtet
Falsch wäre es, zu glauben, Gracia sei aus Konsequenz und Frustration über sein abruptes Ausscheiden aus dem bischöflichen Dienst aus der Kirche ausgetreten. Denn Gracia und Bischof Huonder dachten in vielem ähnlich: Das duale Modell der innerkirchlichen und staatskirchenrechtlichen Instanzen duldeten sie nur contre cœur. Gracia hatte Martin Grichting nach Kräften geholfen, die öffentlich-rechtlich anerkannten Landeskirchen madig zu machen.
So teilt der frühere Bischofssprecher nun mit, er sei aufgrund seiner liberalen Grundwerte, zu denen die Trennung von Kirche und Staat gehöre, aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten. «Seit Jahren habe ich öffentlich das Schweizer Staatskirchentum kritisiert, eine Vermischung von Staat und Kirche unter anderem zum Zweck der Einnahmen von Steuern.»
Gracia ist also nur aus der römisch-katholischen Körperschaft ausgetreten – wie etwa auch Natalie Rickli oder Roberto Martullo. Das sagt noch nichts über Gracias Glauben aus, ob er überhaupt glaubt, oder ob dieser für ihn mehr eine philosophische Frage ist.
«Bischofssprecher ist ein Brotberuf.»
«Bischofssprecher» war für ihn, wie er einmal dieser Zeitung sagte, ein Brotberuf, der freilich schnell eine kirchenpolitische Bedeutung bekam. Er wollte «dem Bischof helfen, dass die heute schwer vermittelbaren weltkirchlichen Positionen verstanden werden». Für ihn sei es aber nur logisch, dass er die Positionen nicht teilen müsse, die er für den Bischof nach aussen kommunizierte.
Dennoch gibt es mit Huonder grosse Schnittmengen: Etwa die Kritik an der Gendertheorie oder das Lob auf Thomas von Aquin – beides Themen, die er gerade in der NZZ platziert hat. Und wie Huonder ist Gracia für die rechtskatholischen Medien Kath.net
und «Die Tagespost» eine Referenz.
Der Schriftsteller
Klar, Gracia versteht sich in erster Linie als Schriftsteller. Das erklärt, weshalb er sich nie ganz in die Karten schauen lässt. Zur Existenz des Literaten gehört es, mit Rollen zu spielen, mit Identitäten zu changieren. Als Sohn eines italienischen Maurers und einer spanischen Putzfrau im Gastarbeiter-Milieu St. Gallens aufgewachsen, hat Gracia die entbehrungsreiche «Schwarzenbach-Zeit» in einem Buch geschildert – und hinter sich gelassen.
Seine in beachtlicher Kadenz erscheinenden Bücher bedienen auch Genres wie Fantasy, Thriller oder Philosophisches. Wobei er sich selber besser verkauft, als sich seine Bücher verkaufen.
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Der prominenteste Bistumssprecher – Ein erneuter Coup des begnadeten Selbstinszenierers
Giuseppe Gracia, ehemaliger Sprecher des Bistums Chur, verlässt die Landeskirche. Gleichzeitig erscheint sein neustes Buch – alles nur Zufall?