Afghanisch-pakistanische GrenzregionMindestens 1000 Tote nach Erdbeben – «Das Grauen ist gross»
Am Mittwochmorgen erschütterte ein Beben der Stärke 5,9 die afghanische Region Paktika. Die meisten Bewohner wurden im Schlaf überrascht, ihre Lehmhäuser wurden grösstenteils zerstört.
Bei einem verheerenden Erdbeben in der afghanisch-pakistanischen Grenzregion sind nach offiziellen Angaben mindestens 1000 Menschen ums Leben gekommen. Mindestens 1500 Bewohner im Osten Afghanistans seien nach dem Beben am Mittwochmorgen verletzt worden, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Bakhtar am Mittwoch.
Ein Augenzeuge berichtete der Deutschen Presse-Agentur von der Zerstörung in den betroffenen Gebieten. «Überall herrscht ein grosses Chaos. Ich habe in einer Stunde hundert Leichen gezählt», sagte der Journalist Rahim Chan Chushal. «Das Grauen ist gross. Die Eltern können ihre Kinder nicht finden und die Kinder ihre Eltern nicht. Jeder fragt sich, wer tot ist und wer lebt. Die Häuser sind aus Lehm, und deshalb wurden sie alle durch die starke Erschütterung zerstört.»
Die Taliban-Führung sprach den Opfern ihr Mitgefühl und Beileid aus. Nach Regierungsangaben wurden Dutzende Häuser in den Provinzen Paktia und Kost zerstört. Auch zahlreiche Tiere kamen ums Leben. Afghanische Medien berichteten, ein Dorf sei komplett zerstört worden. Taliban-Anführer Hibatullah Achundsada sagt, er gehe davon aus, dass die Zahl der Opfer noch steigen werde.
«Die Bestände in den Krankenhäusern sind seit dem Abzug der internationalen Gemeinschaft leer.»
Ziaulhaq Wazirzai, der nebenbei für eine private Hilfsorganisation arbeitet, kennt viele Familien, die Angehörige verloren haben. Er war in der Nacht des Bebens 200 Kilometer vom Epizentrum entfernt in Kabul. «Die Menschen sind im Schlaf überrascht worden, sie hatten keine Zeit zu fliehen», sagt er im Gespräch mit der «Süddeutschen Zeitung». Wazirzai hofft nun, dass schnell Hilfe in die betroffene Region gelangt. «Die Bestände in den Krankenhäusern sind seit dem Abzug der internationalen Gemeinschaft leer. Wir brauchen jetzt dringend Hilfe. Ich flehe Sie an.»
Er habe 20 Mitarbeiter seiner privat betriebenen Hilfsorganisation im Katastrophengebiet dort im Einsatz. Vier Distrikte Paktikas seien besonders schwer betroffen, nach Berichten seiner Mitarbeiter seien zehn Dörfer verwüstet. Es mangele an allem, Decken, Nahrung, aber vor allem an Medikamenten und Verbandsmaterial, um die Verletzten versorgen zu können.
UNO braucht 15 Millionen und redet mit Nachbarn
Nach dem verheerenden Erdbeben in der afghanisch-pakistanischen Grenzregion brauchen die Vereinten Nationen 15 Millionen Dollar sofortige Hilfe. Diese Zahl gelte nur für die durchgeführten Hilfsmassnahmen am Mittwoch und werde steigen, sagte der stellvertretende UN-Sonderbeauftragte für humanitäre Angelegenheiten in Afghanistan, Ramiz Alakbarov. Die Vereinten Nationen hätten bereits zehn Tonnen an medizinischen Hilfsgütern in die betroffenen Regionen gebracht sowie Chirurgen und Ärzte.
Man sei zudem in Gesprächen mit Ländern der Region wie der Türkei, um diese möglicherweise um humanitäre Unterstützung zu bitten. Dabei gehe es auch um grösseres Gerät und Logistik: «Wir haben, wie gesagt, nicht die Kapazitäten, Menschen unter den Trümmern hervorzuholen.» Schätzungen zufolge seien 2000 Häuser zerstört worden. Das Erdbeben sei auch deutlich in der Hauptstadt Kabul zu spüren gewesen.
Beben überraschte Bewohner in der Nacht
Die Bauweise in der armen und wirtschaftlich schwachen Region ist aus Kostengründen nicht erdbebensicher, viele Familien leben dicht zusammen. Zudem dürfte das Beben die Bewohner in der Nacht überrascht haben.
Der Katastrophenschutz befürchtet unterdessen eine noch höhere Opferzahl. Erschwert wurden die Rettungsarbeiten durch den Zugang zur abgelegenen Bergregion. Die militant-islamistischen Taliban, die seit August 2021 wieder in Afghanistan herrschen, beriefen eine Notsitzung des Kabinetts ein.
Mehrere Helikopter wurden in die Unglücksregion geschickt, um den Menschen vor Ort zu helfen. Ein Regierungssprecher rief Hilfsorganisationen zur Unterstützung auf. Bereits am Mittwoch trafen Helfer des Roten Halbmonds ein.
Die US-Erdbebenwarte (USGS) vermeldete für das Beben kurz vor 23.00 Uhr am Dienstag (Ortszeit) die Stärke 5.9 sowie ein etwas schwächeres Nachbeben. Demnach befand sich das Zentrum des Bebens rund 50 Kilometer südwestlich der Stadt Chost nahe der Grenze zu Pakistan in rund zehn Kilometern Tiefe. Pakistanische Behörden hatten das Beben mit einer Stärke von 6.1 registriert.
Beben auch in weiten Teilen Pakistan spürbar
Pakistanischen Angaben zufolge waren die Erschütterungen in weiten Teilen des angrenzenden Landes – so auch in der Hauptstadt Islamabad und selbst in Lahore im Osten des Landes – zu spüren. Mancherorts brach Panik aus, über Schäden oder Verletzte in Pakistan war nach ersten Angaben jedoch nichts bekannt. Pakistans Premierminister Shehbaz Sharif drückte im Internet seine Betroffenheit aus und stellte Hilfe für die Menschen im Nachbarland in Aussicht.
Papst Franziskus betete in Rom für die Opfer. «Ich drücke den Verletzten und denen, die vom Erdbeben betroffen sind, meine Nähe aus», sagte das Oberhaupt der katholischen Kirche am Mittwoch am Ende der Generalaudienz vor Gläubigen und Besuchern auf dem Petersplatz. Er bete besonders für diejenigen, die ihr Leben verloren hätten und für deren Familienangehörige, erklärte der 85-Jährige.
Zusammentreffen von drei tektonischen Platten
Immer wieder kommt es zu schweren Erdbeben in der Region am Hindukusch und den Nachbarländern, wo die Arabische, Indischen und die Eurasische Platte aufeinander treffen. 1998 erschütterte ein Beben den Norden Afghanistans, mehrere Tausend Menschen starben.
In Pakistan starben 2005 bei einem gewaltigen Erdbeben mehr als 75’000 Menschen, über 3,5 Millionen Menschen wurden obdachlos. Im Nachbarland Iran starben bei einem Beben 2003 mehr als 40’000 Menschen, die historische Stadt Bam wurde grösstenteils zerstört.
AFP/SDA
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