Theaterhalle in AarauDieser Raum ist ein einmaliges Experiment
Barão-Hutter Architekten haben die Alte Reithalle in Aarau radikal erhalten und umgebaut. Der Kultur bietet der unverstellte Raum neue, fast grenzenlose Möglichkeiten.

Wo früher die Armee ihre Pferde eingeritten hat für den Ernstfall, stehen nun Schauspielerinnen auf der Bühne oder klingen die ersten Geigen des Orchesters: Die Alte Reithalle in Aarau hat ihre Nutzung markant verändert, auch wenn äusserlich vieles beim Alten geblieben ist, seit das Haus 1864 erbaut wurde. Einzig die Läden aus feuerverzinktem Stahl, die alle Fenster verschliessen, verdeutlichen: Dahinter muss etwas passiert sein. Auch rundherum wird sich Aarau entwickeln. Die Halle ist das erste Gebäude des Kasernenareals, das das Militär für eine andere Nutzung freigibt und das ab 2030 transformiert werden soll.
Für Barão-Hutter Architekten ist der Umbau ein Schlüsselprojekt. Als sie 2012 den offenen Wettbewerb gewannen, hatten sie ihr Büro in St. Gallen eben gegründet. Mit junger Naivität ignorierten sie das Raumprogramm, das zwei Säle forderte. Stattdessen zeigten sie ein Rendering einer einzigen, offenen Halle, nur mit Stoffbahnen unterteilt. Die Idee sass. Und überlebte zehn Jahre Planungs- und Bauzeit, während der sich die Anforderungen markant erhöhten. «Architekten müssen sich für die Architektur starkmachen», sagt der Architekt Peter Hutter. «Alles andere ist morgen schon überholt.» Die Zeiten ändern sich, die Architektur bleibt.
Nicht nur das Gebäude war schon da, wenn die Alte Reithalle ihre neuen Tore am 16. Oktober öffnet. Auch die Nutzung. Seit 2011 wurde die Halle zwischengenutzt für diverse Kulturveranstaltungen. Die Aargauerinnen und die Aargauer wussten also, worauf sie sich freuen können, als sie 2018 mit 61 Prozent deutlich Ja sagten zum Umbau. Während der Zwischennutzung zeigte sich zudem, dass der Raum hervorragend klingt. Also holte der Kanton 2015 die Argovia Philharmonic mit ins Boot, die das Haus nun zusammen mit dem Theater bespielt. Zwischennutzung macht Raumprogramm. Die klassische Musik stellt hohe Ansprüche an Schallschutz, Akustik und Lüftung. Entsprechend stiegen die Kosten auf 20 Millionen Franken, finanziert zur Hälfte von Stadt und Kanton sowie zu einem Viertel von privaten Sponsoren.
Niederschwelliges Theater
Die Stahltore öffnen das Gebäude direkt vom Trottoir, ein Schritt, und schon steht man auf der Bühne. Das mächtige Gebälk und die alten Mauern prägen den 2000 Quadratmeter grossen Raum. Um das Einraumereignis in die Zukunft zu retten, haben Barão-Hutter hinter den Kulissen beherzt eingegriffen. Die Architekten legten einen schwarzen Bühnenboden durch den Raum. Das Dach doppelten sie mit einem Überdach auf, damit sie die Schwerlastschienen für die mobile Theatermaschinerie direkt an die alten Balken hängen konnten. Sämtliche Nebenräume versorgten sie in zwei Betoneinbauten an den Stirnfassaden. Ganz am Rand tangieren sie die Einraumidee nicht.

Barão-Hutter haben den Bestand räumlich radikal und integral erhalten, obwohl die Reithalle nicht unter Schutz steht. Das Resultat ist ein verblüffender Gewinn für den Ort und die Nutzung. In der komplett freigespielten Halle können theoretisch überall Bühnenelemente oder Sitzplätze aufgebaut werden. Einzig in der Mitte bilden schwere Vorhänge ein Foyer aus und teilen den Raum in zwei Säle: einen für das Orchester und einen für das Theater.
Eine Halle für Schauspiel, Tanz, Theater, Zirkus
Der neue Ort ist ein Massstabssprung für die Theaterwelt Aarau: Die Halle ist fast dreimal so gross wie der Hauptsaal der Gessnerallee in Zürich, wo einst auch Militärpferde wieherten. Um das Vorhaben zu stemmen, schlossen sich mehrere lokale Theater zur Bühne Aarau zusammen. Auf dem Programm des Mehrspartenhauses stehen Schauspiel, Tanz, Figurentheater, zeitgenössischer Zirkus, Kleinkunst, Musiktheater. «Die Reithalle erweitert unsere Möglichkeiten enorm», sagt Peter-Jakob Kelting, der künstlerische Leiter der Bühne Aarau. Schon während der Zwischennutzung hat er erprobt, was der Raum hergibt: etwa mit dem Publikum quer durch die Halle wandern oder den ganzen Raum mit dem Zirkus beanspruchen.
Geplant sind pro Jahr rund 150 Veranstaltungen, nicht parallel, aber mit Überlappungen: Das Orchester probt zum Beispiel jeweils eine Woche lang am Vormittag, am Abend findet auf der anderen Bühne eine Vorstellung des Theaters statt. «Logistisch ist das ein rechter Ritt», sagt Kelting. «Aber es sollte in der Praxis gut funktionieren.» Neben viel Organisationstalent braucht die Mehrfachnutzung vor allem Geld. Jedesmal umbauen kostet. «Wir müssen sehen, ob unser beschränktes Budget ausreicht, um die Flexibilität voll auszuspielen.»

Ganz so frei wie das Theater wird die Philharmonie den Raum nicht bespielen können, da sie auf die Akustik mehr Rücksicht nehmen muss. «Es wird auf verschiedenen Ebenen flexible Lösungen geben müssen», sagt Simon Müller, der Intendant der Argovia Philharmonic. «Aber das ist auch der Reiz an dieser tollen Location.» In der ersten Saison machen Orchester und Theater ihr jeweils eigenes Programm. Für nächstes Jahr sind erste Kollaborationen angedacht, etwa für ein Musiktheaterprojekt. «Die anderen Häuser sind strikte spezialisiert», sagt Kelting. «Wir können die Dinge zusammendenken. Das ist ein grosser Trumpf.»
In Aarau hat sich die Architektur fundamental durchgesetzt: Nicht die Excel-Tabelle der Nutzflächen, sondern die Atmosphäre des Ortes definierte das Raumprogramm. Das ist ein klares, wichtiges Statement. Mit der starken Idee erkauft sich die Bauherrschaft allerdings auch Nachteile. Die grenzenlose Halle ist keine Guckkastenbühne und kein klassischer Konzertsaal. Das muss den Künstlerinnen und Besuchern klar sein, auch wenn der Raum hohen technischen und akustischen Ansprüchen genügen will: Er ist ein einmaliges Experiment.
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