Ja zum FilmgesetzDie Lex Netflix spaltet die Schweiz gleich doppelt
Bei der Abstimmung über das Filmgesetz zieht sich ein Röstigraben und ein ebenso tiefer Alt-Jung-Graben durch die Schweiz. Warum?

Die Volksabstimmung über die Lex Netflix verlief wie eine Netflix-Serie: Ein Underdog stellt sich gegen das Establishment; er überwindet mit viel Kampfwillen viele Widerstände; doch am Schluss unterliegt er im tragischen Finale seinem übermächtigen Gegner.
Die Jungfreisinnigen sehen sich in dieser Rolle. «Dass wir mit unserem Referendum gegen die grosse Mehrheit des Parlaments über 40 Prozent Nein-Stimmen erzielt haben, ist ein Achtungserfolg», sagt Parteipräsident Matthias Müller.
Zuerst brachten Müller und seine Truppe zusammen mit der jungen SVP, der jungen GLP und der Piratenpartei die 50’000 Unterschriften für das Referendum zusammen. Dann zogen sie die FDP (die im Parlament mehrheitlich Ja gestimmt hatte) ins Nein-Lager. Und dann schafften sie es, anhand der Lex Netflix eine Debatte über Konsum- und Wirtschaftsfreiheit zu lancieren.

Doch das Volk zeigt dem bürgerlichen Polit-Nachwuchs jetzt seine Grenzen auf. 58,4 Prozent der Stimmberechtigten nehmen das revidierte Filmgesetz an. Eine deutliche Mehrheit ist der Meinung, dass die kleine Schweizer Filmbranche staatliche Hilfe braucht. Die Mehrheit findet es deshalb fair, wenn ausländische Streamingdienste und TV-Sender einen kleinen Teil ihrer Schweizer Profite wieder ins Schweizer Filmschaffen investieren müssen.
Bei diesem Entscheid zieht sich jedoch ein tiefer Röstigraben und ein ebenso tiefer Altersgraben durch die Schweiz.
Welsche stimmen massiv zu
Die welschen Kantone stimmten dem Filmgesetz massiv zu – am deutlichsten die Waadt mit 76,1 Prozent Ja. In der Deutschschweiz war die Zustimmung viel bescheidener. In sieben Zentral- und Ostschweizer Kantonen gab es sogar eine Nein-Mehrheit.
«In der Romandie ist die Sensibilität für solche Fragen grösser.»
Die Genfer FDP-Nationalrätin Simone de Montmollin, eine Befürworterin der Vorlage, erklärt diese Diskrepanz so: «In der Romandie ist die Sensibilität für solche Fragen grösser.»
Die Romands wüssten aus eigener Erfahrung, dass die Interessen einer sprachlichen und kulturellen Minderheit schon innerhalb der Schweiz schwierig zu verteidigen seien. Das gelte erst recht für den internationalen Markt, sagt de Montmollin. Schon heute entstehe die Hälfte der welschen Filme als Co-Produktionen mit Frankreich oder anderen EU-Staaten. Darum sei es wichtig, dass für den Schweizer Film jetzt ähnliche Regeln gälten wie in der EU.
Der Alt-Jung-Graben
Der Altersgraben ist ebenfalls markant. Von den über 65-Jährigen stimmten 68 Prozent Ja, von den unter 34-Jährigen nur 51 Prozent. Diese Zahlen ermittelte eine Online-Nachbefragung, welche Tamedia und «20 Minuten» seit Donnerstag bei über 9000 Personen durchgeführt haben.
Damit offenbart sich beim Filmgesetz ein ähnlicher Trend wie bereits beim Medienförderungspaket, das am 13. Februar an der Urne abgelehnt wurde. Die beiden Abstimmungsvorlagen haben gewisse Gemeinsamkeiten: So wie die Filmbranche erbringen auch die privaten Medien Informations- und Kulturleistungen, die sich über den freien Markt nur (noch) schwer finanzieren lassen.
Auch beim Medienförderungspaket stand darum ein verstärkter staatlicher Heimatschutz zur Abstimmung. Und auch damals war der Nein-Stimmen-Anteil bei den Jungen höher als bei den Alten.
Die Zukunft kulturpolitischer Abstimmungen
Referendumsführer Matthias Müller erklärt diesen Alt-Jung-Graben in der Kultur- und Medienpolitik so: «Für einen Jungen ist es völlig unverständlich, dass er mit seinem Netflix-Abo zwangsweise eine schweizerische Filmbranche unterstützen soll, mit der er nichts zu tun hat.» Mit dem Referendum habe man dem Parlament nun die Grenzen aufgezeigt, glaubt Müller. Wenn es weitere ähnliche Gesetze beschliessen sollte – etwa für den Musik-Streamingdienst Spotify –, werde man erneut Referenden ergreifen.
Die Frage ist: Wird die Mehrheit bei kommenden kulturpolitischen Abstimmungen ins Nein kippen? Wenn die ältere Generation langsam ausstirbt? SP-Nationalrat Matthias Aebischer, der Präsident des Filmverbands Cinésuisse, gibt sich zuversichtlich. Das Verständnis und das Interesse für kulturelle Leistungen steige mit dem Alter. Er selber habe es als 17-Jähriger auch überflüssig gefunden, dass der Staat die Oper fördere. «Ich glaube, dass die Generation Netflix eine ähnliche Entwicklung durchmachen wird.»
Fehler gefunden?Jetzt melden.