«Die Kritiken werde ich nicht lesen»
Michael Elsener erhält den prominenten SRF-Sendeplatz von «Giacobbo/Müller». Wie bereitet sich der Kabarettist auf das Erbe vor?

Wie sehr haben Sie sich auf dieses Interview gefreut?
Auf einer Skala von eins bis «Ich habe im Lotto gewonnen»: fünf. Warum fragen Sie?
Weil Sie einmal sagten, Sie seien mediengeil.
Ich bin ein Bühnentier und geniesse den Austausch mit dem Publikum. Abseits der Bühne aber brauche ich das Rampenlicht nicht. «Mediengeil» bezog sich auf mein gleichnamiges Programm, in dem ich etwa über unsere Abhängigkeit von sozialen Medien rede. Das Handy ist oft das Letzte, was wir abends streicheln, und das Erste, was wir morgens mit einem unsanften Fingerdruck zum Verstummen bringen.
Sie auch?
Nicht mehr. Ich schalte das Handy erst um 13 Uhr ein. Davor vertiefe ich mich ungestört in die Zeitungslektüre, spinne meine Gedanken über das Gelesene weiter und arbeite an neuen Nummern.
Ab dem 20. Januar lassen Sie das TV-Publikum an diesen Gedanken teilhaben. Dann startet Ihre News-Satiresendung «Late Update» auf SRF 1. Was erwartet die Zuschauerinnen und Zuschauer?
Täglich prasseln so viele Nachrichten auf uns ein, dass wir am Freitag nicht mehr wissen, was am Montag wichtig war. Ich bereite am Sonntagabend im Studio vor Livepublikum die interessantesten Themen mit Humor auf. Dazu gibt es Gespräche mit anderen Comedians und einem prominenten Gast.
Sie bekommen den ehemaligen Sendeplatz des Satiremagazins «Giacobbo/Müller». Die Medien bezeichnen Sie als Nachfolger. Was sagen Sie dazu?
Ich fange mit meinem Team neu an, die Show wird meine Handschrift tragen. Darum sehe ich «Late Update» nicht als Nachfolgesendung, sondern als spannendes Comedy-Abenteuer.
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Was meinen Sie damit?
Dass ich ausprobieren und Fehler machen werde. Es ist, als würde ich einen Spielplatz bauen, auf dem ich mich mit den Leuten amüsiere. Ich beginne mit einer Schaukel. Ist sie zu langweilig, nehme ich eine Rutsche dazu. Ist diese zu steil, baue ich eine Kurve ein. Das Schöne daran: Ich kann mit der Sendung jede Woche neu beginnen und sie besser machen.
Ihr erfahrener Kollege und Freund Viktor Giacobbo hält grosse Stücke auf Sie. Und doch prophezeit er nach der ersten Sendung ein «Stahlgewitter» in den Medien. Sind Sie auf Kritik gefasst?
Ich bin selbstkritisch und habe Leute in mein Team geholt, die mir gegenüber ebenso kritisch sind. Nur so können wir besser werden. Aber: Die Kritiken in den Zeitungen werde ich nicht lesen. Sie spiegeln jeweils die Meinung einer einzelnen Person wider. Mein Stil muss nicht allen gefallen.
Wie gross ist der Druck vor der ersten Sendung?
Druck hemmt die Kreativität, darum lasse ich ihn nicht zu nah an mich heran. Ich werde wohl etwa so nervös sein wie Bundesrat Guy Parmelin, wenn er seine VBS-Pendenzenliste an Nachfolgerin Viola Amherd übergibt.
«Mein komischer Blick auf die Welt hilft mir, die ernsten Themen zu verdauen.»
Apropos Bundesrat: Johann Schneider-Ammann war eine Ihrer Lieblingsfiguren als Parodist. Geht Ihnen nach seinem Rücktritt der Stoff aus?
Nein. Ignazio Cassis etwa hat uns kürzlich mit expressionistischen Reden beglückt, in denen er sogar mit Bauklötzen spielte, um das Rahmenabkommen mit der EU zu erklären. Verstanden hat trotzdem keiner etwas. Und es wird weitere Politiker geben, die viel reden und nichts sagen werden mit Satzhülsen wie: «Die Spatzen pfeifen von den Dächern, wo hier der Hund begraben liegt.» Mir ist schleierhaft, warum sich Politiker so ausdrücken.
Schon in Ihrer Kindheit sollen Sie die Verwandtschaft parodiert haben.
Meine Eltern fanden das lustig, baten mich aber, beim nächsten Mal bitte zu warten, bis der Besuch gegangen sei. Im Gymnasium imitierte ich meine Lehrer und an der Uni die Dozenten.
Wie kommt es, dass Sie sich als humorvoller Mensch ausgerechnet die ernste Fachrichtung Politikwissenschaft aussuchten?
Politik interessiert mich. Als Teenager las ich Zeitung und machte mich am Küchentisch darüber lustig, was auf der Welt passierte. Humor und Politik passen gut zusammen. Mein komischer Blick auf die Welt hilft mir, die ernsten Themen zu verdauen.
«Eine gute Pointe ist immer wahr und transportiert einen gewissen Schmerz.»
Ist das auch der Anspruch, den Sie an Ihre Politsatire haben?
Politik ist für mich der Ort, wo wir darüber reden, wie wir in Zukunft zusammenleben wollen. Die Welt verändert sich so schnell, es gibt etwa neue Technologien, soziale Medien, wir werden immer älter. Die Frage ist, wie wir mit all dem umgehen. Ich rede gern darüber und entdecke in jedem Thema auch eine gewisse Komik. Humor ist meine Art, die wichtigen Dinge anzusprechen.
Kann Humor die Welt verändern?
Eine gute Pointe ist immer wahr und transportiert einen gewissen Schmerz. Man lacht, weil man sich ertappt fühlt. Im Idealfall ist die Pointe mehr als Unterhaltung, und der Zuschauer sieht durch sie die Welt ein bisschen anders. Im Extremfall verändert er etwas.
Wo stehen Sie politisch?
Ich kritisiere Politiker unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit. Es geht mir um die Sache. Ich trage keine ideologischen Scheuklappen, sehe mich als progressiver Mensch und überdenke meine eigenen Positionen immer wieder. Ich bin stets offen für neue Denkarten.
Wie äussert sich das?
Ich bin oft mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs und komme an den Haltestellen mit unterschiedlichen Menschen ins Gespräch. Am Bahnhof treffe ich den CEO einer Firma, beim Warten aufs Tram rede ich mit einem Teenager, und auf dem Weg zum Theater begegne ich einem Mann mit einer Tragtasche voll leerer Bierdosen. Jedem von ihnen höre ich gern zu und lasse mir seine Sicht auf die Welt erklären.
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Sie sprechen die Leute unterwegs einfach an?
Meist ergibt sich das von alleine. Aus einem müden Blickkontakt, weil der Zug Verspätung hat. Oder wie kürzlich mit einer Frau aus Rumänien, der ich am Automaten beim Kauf eines Billetts half. Das war eine interessante Begegnung.
Was haben Sie von der Frau erfahren?
Sie erzählte mir, sie sei Professorin für Architektur, werde als Rumänin in der Schweiz aber oft mit negativ gefärbten Klischees konfrontiert.
Mit welchen denn?
Das möchte ich nicht wiederholen.
Arbeiten Satire und Kabarett nicht mit eben diesen Vorurteilen?
Doch, wir bedienen uns an Klischees. Aber spannend ist jene Pointe, die am Ende mit dem Klischee bricht. Sie zeigt unser Schubladendenken auf und sensibilisiert uns für mehr Offenheit: Jeder, der uns begegnet, kann grundsätzlich alles sein.
«Im Ausland spürte ich, dass Erfolg nicht selbstverständlich ist.»
Sie sind ein Comedian, der sich nicht mit dem Erfolg in der Schweiz zufriedengibt. 2012 fingen Sie in den USA nochmals ganz unten an.
Ich wollte während sechs Monaten etwas Neues erleben und reiste nach New York, in die Wiege der Stand-up-Comedy. Drei Tage zuvor hatte ich in der Schweiz vor 600 Leuten gespielt. Jetzt musste ich zahlen, um überhaupt auftreten zu dürfen. Nach ein paar Wochen gab es eine Gage in Form von Gratisbier und nach vier Monaten sogar ein paar Dollar. Ich werde nie vergessen, wie mir der Veranstalter die Scheine in die Hand gedrückt hat. Es fühlte sich an wie der erste Göttibatzen in der Kindheit.
In den vergangenen Jahren tourten Sie auch mehrfach in Deutschland und machten ähnliche Erfahrungen.
In Berlin hatte niemand auf den Schweizer Lockenkopf gewartet. Am ersten Abend hatte ich nur zwanzig Zuschauer. Aber durch Mund-zu-Mund-Propaganda füllte sich in den kommenden Tagen der Saal, und die Leute sassen sogar auf der Treppe.
Warum verlassen Sie gerne Ihre Komfortzone?
Meine Grossmutter sagte: «Wenns dem Esel zu wohl ist, geht er aufs Eis.» Daran halte ich mich unbewusst. Herausforderungen tun mir gut, weil sie meine Sichtweise verändern. Im Ausland spürte ich, dass Erfolg nicht selbstverständlich ist. Und ich realisierte, wie viel meine Zuschauer in der Schweiz dafür tun, um zu mir in die Show zu kommen. Sie nehmen sich einen Abend frei, kaufen ihr Ticket Monate im Voraus, suchen einen Babysitter, fahren im Stau in die Stadt und kommen durch die Kälte ins Theater. Dafür bin ich dankbar, und ich empfinde meine Arbeit als Privileg.
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