Macrons AussenpolitikDie ganze Welt ist seine Bühne
Frankreichs Präsident unterteilt die Präsidentschaft in Akte – innenpolitisch soll das den Bürgern die Möglichkeit geben, jedem Schritt zu folgen. Aussenpolitisch ist es schwieriger.

Politisch gesehen lebt man in Frankreich in einem Theaterstück. Emmanuel Macron hat sich angewöhnt, seine Präsidentschaft in Akte einzuteilen. Der «erste Akt» wurde von Reformversprechen im Wochentakt geprägt – und endete im Chaos der Gelbwesten-Demonstrationen. Um diesen die Wucht zu nehmen, rief Macron «Akt Nummer zwei» aus, er wolle den Bürgern mehr zuhören, soziale Härten besser ausgleichen. Ohne dass Akt zwei zu einem spürbaren Abschluss gekommen wäre, läuft aktuell Akt drei, wie Macron es nennt. Eine nicht vorgesehene Zäsur, ausgelöst durch die Corona-Pandemie. Vorhang auf, und voilà: Seit Juli führt eine umgebaute Regierung das Land.
Das Zählen der Akte soll dem Präsidenten helfen, so hofft man im Elysée, für die Bürger lesbar zu bleiben: Was wird gerade warum entschieden? Eine von der Staatsführung gern bemühte Formulierung lautet, man müsse noch mehr «Pädagogik machen», die Politik den Bürgern also besser verkaufen.
Keine strategischen Verschnaufpausen
Diese Pädagogik sucht man aussenpolitisch vergeblich. Macrons geopolitischer Gestaltungswille wird nicht durch strategische Verschnaufpausen gebremst. Denn anders als sein Umbau von Arbeitsmarkt und Sozialsystem interessiert die Aussenpolitik die Wähler weniger in ihren Details, sondern in der Grosswirkung: Macron vertritt auf der Weltbühne ein starkes, dynamisches Frankreich.

Eine Auswahl der präsidialen Auftritte der vergangenen Wochen: Mitte Juli feierte er sich dafür, den anderen EU-Staaten ein «historisches», so Macron, Hilfspaket abgerungen zu haben, um die Corona-Wirtschaftskrise abzupuffern. Anfang August war er der erste Staatschef, der nach der Explosion in Beirut in den Libanon reiste, er versprach nicht nur Hilfe, er forderte Reformen.
Gleichzeitig bezieht er im Konflikt um Erdgas zwischen Griechenland und der Türkei klar Stellung gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und setzt sich vom eher vorsichtigen Ton innerhalb der EU ab. Am Donnerstag versammelte Macron die Regierungschefs von Italien, Spanien, Portugal, Griechenland, Zypern und Malta zu einem Gipfel auf Korsika, um die südlichen EU-Länder auf einen Kurs zu führen. Auch in seiner Russland-Politik hatte er bisher darauf gesetzt, sich als unkonventioneller Macher zu zeigen. Erst die Vergiftung des Oppositionellen Alexei Nawalny im August brachte ihn dazu, von seiner Annäherung an Russlands Präsident Wladimir Putin abzusehen.
Macrons aussenpolitischer Schwung bildet dabei einen Gegensatz zu der innenpolitischen Lähmung, die mit der erneut stark ansteigenden Zahl der Corona-Infizierten einhergeht. Nicht der Präsident «revolutioniert» das Land, wie er es vor seiner Wahl 2017 noch versprochen hatte, sondern ein Virus krempelt alles um.

Handelt es sich also schlicht um Aktionismus, der von inneren Problemen ablenken soll? Politische Kommentatoren verspotteten Macron bereits als «Weltenretter». Doch tatsächlich schreibt sich Macron mit seinem Sendungsbewusstsein in eine französische Tradition ein. So erklärt der Politikwissenschaftler Bruno Cautrès in «La Presse», Macron pflege Frankreichs «Aura» als historisch gewachsene Grossmacht. «Je näher die nächste Wahl rückt, umso stärker wird Macron sich darauf konzentrieren, seine Kapazität zu zeigen, die Interessen Frankreichs auf der internationalen Bühne zu vertreten», so Cautrès.
«Wenn wir nicht aufwachen und etwas tun, dann besteht das erhebliche Risiko, dass wir geopolitisch verschwinden.»
Neu sind Macrons aussenpolitische Ambitionen dabei ohnehin nicht. Er war 2017 der einzige Präsidentschaftskandidat, der sich traute, mit EU-Enthusiasmus Wahlkampf zu machen. Von Anfang an betonte er, dass er nicht nur sein Land reformieren will, sondern auch die europäischen Institutionen. Auf der französischen und auf der europäischen Ebene begründet er die Reformen damit, dass Frankreich und die EU konkurrenzfähig gegenüber China und den USA bleiben müssten.
Seine aussenpolitischen Überzeugungen kann man ausführlich in dem langen Interview nachlesen, das Macron Ende 2019 dem «Economist» gab. Für Ärger und Schlagzeilen sorgte, dass Macron die Nato darin als «hirntot» bezeichnete. Eine bewusste Provokation. In dem Gespräch sagte Macron über die EU: «Wenn wir nicht aufwachen und etwas tun, dann besteht das erhebliche Risiko, dass wir geopolitisch verschwinden oder dass wir wenigstens nicht mehr unser Schicksal bestimmen werden. Davon bin ich tief überzeugt.» Es wäre falsch, Macrons aussenpolitische Omnipräsenz als innenpolitisches Kalkül abzutun.
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