Frauenrechte in der TürkeiDer Imam weiss, was gut ist für die Frau
Mehmet Boynukalin ist der Imam der Hagia Sophia in Istanbul und ein überzeugter Frauenverächter. Er bejubelt den Entscheid, aus der Konvention zum Schutz der Frauen auszutreten.

Kaum hatte der Präsident bekannt geben lassen, dass sich die Türkei fristlos von der Istanbul-Konvention zum Schutz der Frauen verabschiedet, meldete sich ein anderer Mann zu Wort: «Gott sei es gedankt», twitterte der Imam der Hagia Sophia. Mehmet Boynukalin setzte das Ausscheiden aus der internationalen Vereinbarung in den aus seiner Sicht richtigen Rahmen: «Der Gerechte und Starke ist im Recht, die Türkei ist stark und im Recht.»
Mit etwas Übung im Umgang mit Islamisten kann – und sollte – man das so lesen: Diese Konvention des Europarats zum Schutz der Frau vor männlicher Gewalt braucht keine und vor allem keiner, denn der muslimische Mann weiss, was gut ist für die Frau. Professor Boynukalin bekleidet das prestigereiche Amt des Imams an der im vergangenen Sommer in eine Moschee umgewandelten Hagia Sophia.
Echte Islamisten, engstirnige Traditionalisten
Er steht sicher nicht unter Verdacht, ein Frauenrechtler zu sein. Oder gar – Gott bewahre – ein männlicher Feminist. Der 1971 in Istanbul geborene Theologe repräsentiert die Zielgruppe, die Präsident Recep Tayyip Erdogan mit seinem Nein zur Istanbul-Konvention bedienen will: echte Islamisten, engstirnige Traditionalisten und so manchen Konservativen.
Dem islamischen Recht in seiner orthodoxen Auslegung zufolge ist die Frau dem Mann nicht gleichgestellt, und der Staat darf sich in innerfamiliäre Belange nicht einmischen. Der Ehemann und der männliche Teil der Familie sind für den Schutz und das Wohl der weiblichen Familienmitglieder verantwortlich. Was Orthodoxe über Homosexualität und die LGBT-Bewegung denken, steht ohnehin ausser Frage: Es sind verdammungswürdige Perverse und Kranke, sie gefährden die Jugend und die von Gott gegebene patriarchalische Familienstruktur.
Der politische Islam hat in den vergangenen Jahren deutlich an Boden gewonnen.
Bei dieser Zielgruppe will der Populist Erdogan, der um seine Wiederwahl fürchten muss, mit der Kündigung der Istanbul-Konvention punkten. Die völkerrechtlich verbindliche Vereinbarung greift nach Ansicht von Islamisten und Traditionalisten nicht nur in das Familienleben und den privaten männlichen Umgang mit den Frauen ein. Nein, sie fördert auch das lasterhafte LGBT-Phänomen.
Und Imam Boynukalin ist schon Kraft seines Amtes ein herausragender Vertreter dieses Teils der Gesellschaft. Die Türkei mag seit 1923 offiziell eine säkulare Republik sein, aber sie bleibt ein muslimisches Land. Und der politische Islam hat in den vergangenen Jahren deutlich an Boden gewonnen im Lande Atatürks, auf Kosten des Säkularismus. Vor allem unter Erdogan.

Imam Boynukalin entstammt einer bekannten Islamisten-Familie. Sein Vater Rifat war Weggefährte des Pioniers des politischen Islam in der modernen Türkei: Necmettin Erbakan. Der mehrmalige Ministerpräsident Erbakan wiederum war der politische Ziehvater des heutigen Staatschefs Erdogan. Eine Reihe politisch Gleichgesinnter also.
Boynukalin, Vater von vier Kindern, ist bestens ausgebildeter Islam-Fachmann. Er hat die ägyptische Al-Azhar-Uni absolviert, wurde in Istanbul promoviert, arbeitete beim Diyanet, der staatlichen Religionsbehörde der Türkei, und schrieb als Fachmann für islamisches Recht mit an einer Islam-Enzyklopädie, übersetzte theologische Literatur aus dem Arabischen.
«Das Thema Frauenmorde wird ausgebeutet»
Was die Frauenfrage angeht, hat er sich immer eindeutig geäussert. Die türkischen und internationalen Kritiker, die Femizide und sogenannte Ehrenmorde anprangerten, betrieben «parolenhafte Medienpropaganda, um Männer und Frauen gegeneinander zu hetzen». Boynukalin spielt dabei auf Verschwörungsmythen an, denen zufolge die Türkei sich vor den nie endenden Manipulationsversuchen eines stets feindlichen Auslands schützen müsse.
Auch die Istanbul-Konvention sei eine Form der Einflussnahme in innertürkische Belange: «Krokodilstränen werden vergossen, das Thema Frauenmorde wird ausgebeutet. Das wird als Anlass genommen, um unsere Familienordnung zu vernichten.»
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